Donnerstag, 1. Dezember 2005

Blut ist nicht der Rede wert

Weltwoche Ausgabe 47

Ein TV-Sportjournalist geht nicht zur Arbeit, er geht seinem Hobby nach. Beim Spiel Türkei gegen die Schweiz hatte das wieder böse Folgen.

Sportkommentator Matthias Hüppi nahm seinen ganzen Mut zusammen. Die Vorgänge nach dem Türken-Spiel, deutete er im TV-Studio an, seien möglicherweise, unter Umständen, allenfalls, vielleicht doch nicht ganz normal, er meine ja nur, womöglich, es könnte ja sein. Sein Gesprächspartner Christoph Daum, Trainer von Fenerbahce Istanbul, fuhr ihm dennoch gleich übers Maul. Die Schweizer, belehrte er Hüppi, sollten «stolz sein, statt zu heulen». Jetzt sah Sportskamerad Hüppi aus wie ein eingeschüchterter Zwerghase, der eins hinter die Löffel bekommen hatte. Die Prügeleien nach dem Spiel waren ab sofort im Schweizer Sportfernsehen kein Thema mehr. Hüppi oben im Studio, wie seine Kollegen unten im Stadion, redeten nur noch über Fussball und nicht über Fusstritte, nur noch über Handelfmeter und nicht über Handgreiflichkeiten.

Ältere Fussballsemester erinnerten sich, es war genau zwanzig Jahre her. Im Heysel-Stadion in Brüssel gab es 1985 beim Meistercup-Final zwischen Liverpool und Juventus Dutzende von Toten. Reporter Beni Thurnheer kommentierte das Spiel, als wäre nichts geschehen. Dann blendete sich TV DRS wortlos aus und strahlte einen Naturfilm mit Hans A. Traber aus.

2005 war es vergleichbar, auch die Argumentation des TV-Teams war dieselbe. Was ausserhalb des Rasens geschehe, habe «nichts mit Sport zu tun». Was nichts mit Sport zu tun hat, ist nicht relevant für die Sportredaktion.

1985 setzte es nach der offenkundigen Verletzung der Informationspflicht einen TV-Skandal. 2005 setzte es nach der offenkundigen Verletzung der Informationspflicht keinen TV-Skandal. Zu gross war das patriotische Entzücken, um es mit einer Diskussion über publizistische Fehlleistungen zu versalzen.

Wir haben die rotweisse Fahne inzwischen in den Schrank gehängt und können zur nüchternen Interpretation anheben: Das Schweigen der TV-Lämmer zeigte uns wieder einmal den Unterschied zwischen Sportjournalisten und Nicht-Sportjournalisten auf. Viele Sportjournalisten haben irgendwann aus ihrem Hobby einen Beruf gemacht. Sie freuen sich, wenn sie ins Stadion fahren dürfen, weil ihnen dort beruflich vergönnt ist, was sie privat interessiert. Das unterscheidet sie von den meisten Branchenkollegen. Es gibt keinen Inlandredaktor, der darüber jauchzt, dass er die Nationalratsdebatte zum Rüstungsprogramm verfolgen darf. Und rar sind die Wirtschaftsjournalisten, die der Generalversammlung von Novartis entgegenfiebern.

Sportjournalisten begegnen ihrem Thema mit Leidenschaft und Nähe. Andere Journalisten begegnen ihren Themen mit Zynismus und Distanz. Leidenschaft und Nähe verführen zu einer protektionistischen Bewahrungshaltung. Man möchte ausklammern, was nicht sein sollte und was das Idealbild trübt. Doping, Bestechung und Gewalt – «das gehört nicht zum Sport».

Solche Romantik verhindert, wie in Istanbul, das Bemühen um Aufklärung. Nachdem Matthias Hüppi und seine Sportskollegen die objektive Information verhindert hatten, stand «10 vor 10» auf dem Programm. Dort erfuhr man aus erster Hand von den Prügelszenen im Kabinengang. «10 vor 10»-Journalisten sind normale, zynische Nachrichtenjournalisten. Sie lieben den Fussball nicht. Sie lieben ihn nur, wenn er gute Schlagzeilen liefert. Fairerweise müssen wir sagen, dass sich auch die Sportjournalisten der gedruckten Presse in den letzten Jahren emanzipiert haben. Sie solidarisieren sich immer weniger, sie recherchieren immer mehr. Die Spuck-Affäre Frei, die Doping-Affäre Camenzind, die Finanz-Affäre Blatter: Die sportiven Schonflächen sind vor allem bei grossen Tageszeitungen wie Blick, NZZ und Tages-Anzeiger enger geworden.

Im Schweizer Fernsehen hingegen hat sich die Spezies der Verwedler und Schönfärber gehalten. Nach der Fehlleistung von Istanbul verteidigte sich TV-Sportchef Urs Leutert, man hätte seine Leute «unter Androhung von Gewalt» an der Berichterstattung gehindert. Das ist natürlich Quatsch. Nicht nur «10 vor 10» informierte gleichzeitig aus dem Kabinengang vor Ort. Auch bei der ARD berichtete Reporter Nick Golüke, der selber einiges abbekommen hatte, live vor der Kamera.

Wir wollen hier den Berufsstand der Journalisten nicht heroisieren. Aber die «Androhung von Gewalt» hindert im Normalfall keinen daran, dennoch an Informationen heranzukommen. Vielleicht bekommt man keine TV-Bilder, aber Informationen bekommt man immer. Um Informationen kämpft man nur dann nicht, wenn einem ganz recht ist, dass sie nicht öffentlich werden. Die Prügelszenen von Istanbul hatten tatsächlich mit Sport nichts zu tun. Sie hatten mit Journalismus zu tun.

Für die Haut ab dreissig

Wir sind zu arm, um uns billige Sachen zu kaufen: Ein Paar von Ludwig Reiter schützt Mensch und Umwelt.

Der Idee der Nachhaltigkeit gehört die Zukunft. Der Verbraucher ist Revolutionär. Seine Konsumgewohnheiten haben in den letzten hundert Jahren die Welt mehr verändert als der Gang zu den Wahlurnen oder auf die Strasse zur Revolution. Der grüne Vordenker Matthias Berninger bezeichnet es als Fortschritt, dass die OECD bei ihrer Auszeichnung von Waren erstmals auch die Prozessqualität berücksichtige – also nicht nur die Umweltverträglichkeit eines Produktes, sondern auch die Ökobilanz seiner Herstellung. «Die Globalisierungsdebatte braucht die Konsumentendebatte. Wenn man der Globalisierung eine Leitplanke geben will, braucht man eine Prozessqualität der Produkte, die weltweit eingehalten wird.»

Und dann entscheiden die Konsumenten über die ökologische Verfassung der globalisierten Welt – vorausgesetzt, sie verfügen über das Mindestmass an Wohlstand und Wissen, das dafür notwendig ist. Wohlhabenden Nationen wie der Schweiz fällt dabei eine besondere Vorbildfunktion zu. Ökologisch nachhaltig sind Konsumgegenstände, die potenziell die Qualität und Substanz haben, nicht nur die eigene Lebenszeit zu überstehen, sondern weitervererbt werden zu können.

Luxus ist arbeitsintensiv. Deshalb macht es Sinn, «den Sinn für Ästhetik und Luxus» zu stärken, wie der Club of Rome empfiehlt. Damit funktioniere Wachstum nicht über Mengen, sondern über Schönheit. Durch eine Reparaturgesellschaft entstehen so neue Arbeitsplätze. Bestes Beispiel: Schuhe. Normal trägt man sie ein bis zwei Jahre, um sie dann zu entsorgen. Rahmengenähte Schuhe aus Pferdeleder halten Generationen. Vorausgesetzt, man pflegt sie richtig. Ausserdem wird man wohl mindestens alle zwei bis drei Jahre die Sohlen erneuern müssen. Aber die Patina der Schuhe macht diese immer eleganter. Kein Mann, und neuerdings auch immer weniger Frauen, von Rang will ohne diese Patina durchs Leben spazieren. Meine These: Spätestens mit dreissig muss man Dinge kaufen, die bleiben: Schuhe, Möbel, Kunst, Häuser, Uhren, Geschirr, Gartenbänke. Schuhe kaufe ich seit fünf Jahren bei Ludwig Reiter, zuvor bei Eduard Meier in München. Beide Firmen waren Hoflieferanten und verfügen über eine wertvolle Tradition, die nicht zuletzt in einem beeindruckenden Herstellungswissen mündet. Seit 125 Jahren stellt Ludwig Reiter Schuhe her, die mittlerweile in gut einem Dutzend Geschäften in Europa verkauft werden. Nicht eben billig, aus Kalbsleder gefertigt, kosten «Budapester» 690 Franken, in Pferdeleder 1100 Franken.

Auf Dauer sind sie dennoch günstig. Billigere Schuhe haben eine deutlich kürzere Haltbarkeitsdauer. Dasselbe gilt übrigens für Autos. Je exklusiver Autos sind, umso seltener werden sie verschrottet. Fast 78 Prozent aller jemals produzierten Porsche gibt es noch. Wie viele Toyota Corolla der ersten Generation noch herumfahren, ist ein Geheimnis. Es dürfte ein Promille sein. Seien Sie ein stolzer Snob: Das Billige ist in der Regel ökologisch bedenklich. Der Todfeind der Nachhaltigkeit ist Ex-und-hopp-Konsum. Michael Hopf, Sprecher von Greenpeace: «Je länger ein Produkt hält, desto ökologisch sinnvoller ist es.» Hier sollten wir ausnahmsweise konservativ sein.

Falsch verbunden

Weltwoche, Ausgabe 47

Die Swisscom gehört zu zwei Dritteln dem Staat. Geht sie im Ausland auf Einkaufstour, müssten wir alle mitbezahlen. Höchste Zeit, dass der Bund seine Aktien verkauft.

Als der Chef der British Telecom davon hörte, dass die Swisscom die irische Eircom übernehmen will, schlug er maliziös vor, die fusionierten Firmen doch «SwissEir» zu taufen. Es wäre vorschnell, dies nur als hinterhältigen Seitenhieb gegen einen potenziellen Konkurrenten zu deuten.

Wie einst bei der Swissair begannen die Probleme der Swisscom – schrumpfende Marktanteile und schrumpfende Margen – mit der Deregulierung. Der Staatsbetrieb verlor sein Monopol, das ihm jahrzehntelang zu hohe Gewinne und den Konsumenten zu hohe Preise verschafft hatte. Wie damals die Swissair muss sich die Swisscom seither auf ihrem lukrativen Markt gegen ausländische Konkurrenten behaupten. Wie die Swissair hat die Swisscom nur eine kleine Heimbasis und sucht ihr Heil jetzt darin, ausserhalb des Landes zu wachsen und ganz Europa nach Firmen abzugrasen, welche sie kaufen könnte. Wie die Swissair, «die fliegende Bank», ist die Swisscom, «die Geldmaschine», heute bereit, sich dafür zu verschulden – mit bis zu 22 Milliarden Franken. Und wie bei der Swissair ist der Bund (also die Bürger) bei der Swisscom beteiligt. Waren es bei der Airline am Schluss gerade einmal drei Prozent – was ihm eine Staatskrise eintrug – besitzt der Bund heute sogar zwei Drittel (66,1 Prozent) der Swisscom.

Es ist höchste Zeit, sich davon zu trennen. Verkauft der Bund seine Swisscom-Anteile jetzt, sind sie noch 18 Milliarden Franken wert. Loslassen befreit gleich doppelt: Die Swisscom kann dann ohne politische Fesseln jedes unternehmerische Risiko eingehen, das ihr sinnvoll erscheint. Und der Bundesrat schafft ein für alle Mal die Gefahr aus der Welt, erneut Milliarden zu verlieren und als Krisenmanager agieren zu müssen.


Die letzte Eile

Die Swisscom-Führung unter Jens Alder, die sich lange durch Zurückhaltung auszeichnete und damit manche teure Dummheit vermied, vermittelt derzeit einen unüblich gehetzten Eindruck. Wann immer in Europa eine Telefongesellschaft verkauft werden soll, werden die Schweizer als Bewerber genannt – ob in Irland, Dänemark oder den Niederlanden. In Tschechien und Österreich haben sie es auch versucht und einen Korb gekriegt. Ständig, sagt Alder nicht ohne Stolz, prüfe er mindestens drei mögliche Kaufobjekte zugleich. Die Filetstücke aber wurden bereits in den letzten Jahren verteilt. Und um die wenigen übrig gebliebenen Firmen buhlen derzeit viele willige Käufer mit viel Geld, was deren Preis in ungeahnte Höhen treibt – wie jüngst in Tschechien, wo die Swisscom von der spanischen Telefonica ausgebootet wurde.

Auffallend dabei ist, dass sich kaum ein Experte findet, der die Shoppingtour der Swisscom goutiert. Eine strategische Logik der Expansion ist nicht erkennbar, weil das Zusammengehen von Ex-Monopolisten, die alle unter dem gleichen Konkurrenzdruck leiden, weder bedeutende Synergien noch komplementäre Einkünfte verspricht. Einzig als Finanzinvestition macht eine Expansion ins Ausland Sinn, denn die Swisscom sitzt auf sehr viel Bargeld, ja sie möchte sich sogar verschulden. Es scheint für sie bei den historisch tiefen Zinsen am rentabelsten, Fremdkapital aufzunehmen. Und mit Schulden, schöner Nebeneffekt, muss sie dem Staat, ihrem Mehrheitsaktionär, weniger Steuern bezahlen. Das allein schon zeigt die schizophrene Lage, in welcher der Bund als Swisscom-Aktionär steckt. Als Eigentümer eines Unternehmens muss er daran interessiert sein, möglichst wenig Steuern zu bezahlen, als Staat, möglichst viel zu bekommen. Gleichzeitig reguliert der Bund die Branche, was ihn in Interessenkonflikte bringt. Ob es nun um die letzte Meile geht oder um den härtesten Swisscom-Konkurrenten, die Cablecom – als Besitzer muss der Bund ein Interesse an einer starken Swisscom haben, als Regulator muss er für einen fairen Wettbewerb sorgen, von dem die Konsumenten profitieren. Vom Verkauf der Bundesbeteiligung können die Swisscom und «der Staat» nur gewinnen. Denn eine Investition von 18 Milliarden Franken in einen einzigen Titel ist aus Sicht des Bürgers ein «Klumpenrisiko». So sank der Börsenkurs der Swisscom in diesem Jahr um sechs Prozent – mitten in einer Hausse, die den Index um dreissig Prozent steigen liess. Für eine derartige Performance gehörte jeder Vermögensverwalter, jeder Pensionskassenmanager gefeuert. Auch die Zukunft sieht für die Swisscom nicht gerade vielversprechend aus. Ihr Kerngeschäft – Fixnetz, Internet und Handy – schrumpft, die Tarife sinken und sinken. Und die Internet-Telefonie, erst in ihren Anfängen, wird die Branche noch erschüttern.

Die Swisscom und nicht der Bundesrat muss in dieser wenig komfortablen Situation selber wissen, ob es ihr hilft, mit viel Geld ins Ausland zu expandieren. Tut sie, was ihr betriebswirtschaftlich oder wegen besserer Karriereperspektiven der Manager als nötig erscheint, dann bitte ohne Steuergelder. Hat sie Erfolg, wird sie weiterhin gute Arbeitsplätze bieten, gute Produkte schaffen und gute Steuern bezahlen. Geht das Auslandabenteuer in die Hose, wie vor zehn Jahren in Malaysia und in Indien, dann kann zumindest niemand fragen, was der Schweizer «Service public» eigentlich in Dublin, Kopenhagen oder Amsterdam zu suchen hatte.

Zweck vom Sonnendeck

Das Sonnendeck dient mir als Abstellplatz wichtiger Habseligkeiten wie auch überflüssigen Ballasts. Daneben lässt sichs aber auch ganz gemütlich liegen und der Gelassenheit frönen.

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