Von Urs Paul Engeler
Vertrauliche Unterlagen zeigen: Der Bundesrat hat in Sachen Swisscom nicht im Streit, sondern in stillschweigender Einigkeit entschieden. Und den nachfolgenden Aufruhr hat zum grössten Teil die Firmenspitze zu verantworten. Eine Rekonstruktion der Vorgänge.
Während Politiker, Medien und Swisscom-Fürsten noch Überdruck produzieren und von «Informationspannen», «Bundesratskrise», «Destabilisierung», «Chaos» und «Hauruckübung» sprechen, sind alle Fakten zusammen, um das Swisscom-Geschäft des Bundesrates exakt nachzuzeichnen. Die genaue Analyse der Abläufe zeigt, dass der Entscheid der Landesregierung seriös vorbereitet, korrekt, eindeutig entschieden – und wohl richtig war.
Die Vorgeschichte
Konkreter wurde die seit Jahren schwelende Diskussion um die Auslandengagements der Swisscom AG und um die Rolle des Mehrheitsaktionärs Bund im Sommer 2004, als die Swisscom die Mehrheit an der Telekom Austria kaufen wollte. Schon damals wagten es Verwaltungsrat und Management nicht, die delikate Frage ganz allein zu entscheiden. Sie kontaktierten ihren Ansprechpartner im Bundeshaus, Moritz Leuenberger (SP), und suchten Rückendeckung vor dem riskanten Schritt. Doch der Minister sagte, offenbar nach Rücksprache mit Finanzminister Hans-Rudolf Merz (FDP), dezidiert nein. Vor einem parlamentarischen Ausschuss machte Leuenberger am 4. Mai 2005 seine Opposition gegen die geplanten Swisscom-Schritte ins Ausland dann auch sehr transparent: «Persönlich bedauere ich das Scheitern dieser Akquisitionen nicht.»
Das Veto garantierte, dass die Eidgenossenschaft nicht über Nacht in mögliche Strudel der österreichischen Gewerkschafts- und Infrastrukturpolitik hineingezogen wurde. Aber es war keine klarformulierte Strategie, zumal die offiziellen Vorgaben des Bundesrates, die im April 2005 erneuert wurden, davon sprachen, dass «Wachstumschancen im Ausland» genutzt werden sollen, «wenn damit der Unternehmenswert gesteigert werden kann». Wie diese teilweise widersprüchlichen Ziele und Entscheide sowie die Rolle des Bundes neu zu definieren seien, blieb einstweilen offen. Moritz Leuenberger meinte vor den National- und Ständeräten zwar, «der Bund könnte für die Swisscom eine Art Klumpenrisiko darstellen», und warb auch leise für eine «Flexibilisierung» und eine Entflechtung der Beziehungen, mahnte indes zu einer Politik der sachten Schritte.
Der Entscheid wird vorbereitet
Am 31. August 2005 beauftragte der Bundesrat, ohne dass dessen Sprecher Oswald Sigg dies damals der Öffentlichkeit mitgeteilt hätte, formell Leuenbergers Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) und Merz’ Finanzdepartement (EFD), bis Ende Oktober «Abklärungen zur Mehrheitsbeteiligung des Bundes an der Swisscom» vorzunehmen und der Regierung einen konkreten Antrag zu unterbreiten. «In enger Zusammenarbeit» zwischen dem Generalsekretariat Uvek (Hans Werder, SP), der Finanzverwaltung (Peter Siegenthaler, ebenfalls SP) sowie der Spitze von Joseph Deiss’ (CVP) Volkswirtschaftsdepartement wurden die Arbeiten an die Hand genommen. Die Swisscom-Spitze war über diese Pläne vollständig informiert; sie lieferte der Arbeitsgruppe sogar die benötigten Unterlagen und Daten. Sie wusste auch genau, dass der Bundesrat Auslandsbeteiligungen skeptisch beurteilte.
Der Oktober-Termin verstrich. Als Christoph Blocher (SVP) sich Mitte November bei Kollege Merz nach dem Verbleib des angeforderten Berichts erkundigte, antwortete der Finanzminister, es sei «zu spät»: die Swisscom schaffe vollendete Tatsachen. Er sei darüber informiert worden, dass das Unternehmen kurz vor der Übernahme der irischen Eircom stehe; die Sache sei bereits unterschriftsreif.
Den Plan vom 4,2-Milliarden-Deal hatten auch die international tätigen Anleger mitbekommen. Offenbar spekulierten neben Investmentbanken auch Londoner Hedge-Funds auf eine Übernahme der Eircom zu einem sehr hohen, ja zu jedem Preis. Auf jeden Fall stieg der Börsenwert der Aktie, die Ende August noch 1.60 Euro wert war, rasant auf einen Kurs von über 2.40 Euro. Die Swisscom wollte also eine Gesellschaft kaufen, die innert Wochen um 50 Prozent teurer geworden war.
Der konkrete Antrag
Die Zeit drängte plötzlich. Am Dienstag, den 22. November, stellten das Uvek und das EFD mit einem gemeinsamen Briefkopf das zwölfseitige, als «vertraulich» deklarierte Aussprachepapier den andern fünf Departementen zu.
Der Text ist in einem vorsichtig pessimistischen Ton abgefasst. Zwar habe die Swisscom-Aktie sich seit dem Börsengang von 1998 «relativ gut gehalten», sie sei nach der Emission (350 Franken) zwischenzeitlich bis auf 700 Franken geklettert, pendle seither zwischen 350 und 500 Franken und sei derzeit rund 420 Franken wert. Die Gesellschaft habe nach dem Börsengang dem Bund «Einnahmen von 9 Mrd. Franken eingetragen», doch die Aussichten seien nicht eben rosig: «Ein Blick in die Empfehlungen der Börsenanalysten», schrieben die Bundesräte weiter, «zeigt, dass heute nur sehr wenige von ihnen die Titel von Swisscom zum Kauf empfehlen; eine Mehrheit der Analysten empfiehlt ‹halten› und eine starke Minderheit spricht sich für den Verkauf der Aktien aus. Dies dürfte hauptsächlich darauf zurückzuführen sein, dass es der Gesellschaft an Wachstumsmöglichkeiten mangelt und dass die Finanzierungsstruktur suboptimal ist.»
Die von Leuenberger und Merz gezeichnete Schlussfolgerung lautete, es sei «unbestritten, dass im dynamischen Telekommunikationsmarkt eine Flexibilisierung der Bundesmehrheit den strategischen Handlungsspielraum für Swisscom und Bund entscheidend verbessern würde».
Trotz dieser klaren Analyse präsentierte das SP-FDP-Duo dem Gesamtbundesrat zwei Varianten:
Merz drängte «angesichts der beträchtlichen Risiken», denen sich der Bund aussetze, auf einen raschen Abbau der Mehrheitsbeteiligung: «So kann die Übernahme einer ehemaligen staatlichen Monopolistin durch die staatlich dominierte Swisscom zu politischen Implikationen führen.» Auch werde der Verkauf der Swisscom dem Bund eine stattliche Summe eintragen, die für den Schuldenabbau eingesetzt werden könne: «Es besteht ein erhebliches Risiko, dass der Erlös aus einem späteren Verkauf geringer ist.»
Das Uvek argumentierte weniger aus prinzipiellen und politischen Gründen gegen einen Verkauf der Beteiligung, sondern listete vor allem Gründe gegen die Lancierung der Vorlage «im heutigen Zeitpunkt» auf: Der Termin sei politisch ungünstig; andere, dringlichere Vorlagen zur Marktöffnung könnten «belastet» werden. Die «emotionale Bedeutung der ehemaligen Regiebetriebe» sei nicht zu unterschätzen. Doch «längerfristig», räumte auch Sozialdemokrat Leuenberger ein, sei der Handlungsbedarf ausgewiesen. «Nach Meinung des Uvek spricht das heutige politische und wirtschaftliche Umfeld für die Verschiebung einer Vorlage auf die nächste Legislaturperiode.»
Blochers Druck
Noch am gleichen Tag, am 22. November, schickte Justizminister Christoph Blocher, der seit Monaten auf diese Aussprache gedrängt hatte, seinen knapp gehaltenen «Mitbericht» ab. Er umfasste auf einer A4-Seite drei Forderungen, die geeignet waren, einen raschen und klaren Entscheid herbeizuführen.
Der erste Antrag zielte darauf, die übervolle Swisscom-Kasse zu entleeren: «Der Bundesrat weist in seiner Funktion als Mehrheitsaktionär die Swisscom an, die freien Eigenmittel für einen Aktienrückkauf bzw. die Ausschüttung von Dividenden einzusetzen [...].»
Der zweite Antrag wollte die Swisscom in letzter Minute daran hindern, die irische Eircom zu kaufen, da dieses Engagement für den Bund «zu einer politischen Hypothek werden» könnte: «Der Bundesrat weist in seiner Funktion als Mehrheitsaktionär die Swisscom an, auf eine Investition bei einer ausländischen Telekommunikationsunternehmung zu verzichten. Im Falle einer Nichtbeachtung dieser Anweisung ist eine Verantwortlichkeitsklage gegen die Mitglieder von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung in Aussicht zu stellen.»
Blochers dritter Antrag unterstützte den von Merz etwas zögerlich vorgetragenen Rückzug des Bundes aus der Position des politisch dominierenden Mehrheitsaktionärs: «Es ist unverzüglich eine Vorlage zur Revision des Telekommunikationsunternehmungsgesetzes einzuleiten. Inhalt der Vorlage ist die Möglichkeit des vollständigen Rückzugs des Bundes aus seiner Beteiligung an der Swisscom. Das EFD wird beauftragt, dem Bundesrat bis Ende 2005 eine Vernehmlassungsvorlage zu unterbreiten.»
Die Sitzung
Die Debatte des Geschäftes verläuft ruhig. Merz referiert. Blocher stösst nach, erläutert sein Konzept. Deiss und Pascal Couchepin (FDP) unterstützen den SVP-Mann. Leuenberger, leicht distanziert bis desinteressiert wie meist, sagt nur, man wisse ja, dass er eigentlich im Moment nichts verändern wolle. Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (SP) erkundigt sich nach den Auswirkungen auf den Börsenkurs. Als Bundespräsident Samuel Schmid die Runde fragt, ob jemand gegen die drei Vorschläge von Kollege Blocher sei, stellt Moritz Leuenberger keinen Gegenantrag. Es wird dreimal ohne Abstimmung und ohne redaktionelle Änderungen Blochers Texten stillschweigend zugestimmt. Nach dem Entscheid geht man gemeinsam essen. Kein Ton von Streit.
Die Kommunikation
Der Bundesrat hatte überdies beschlossen, vorerst nur die Beschlüsse 1 (Rückzahlung der überflüssigen Eigenmittel an die Aktionäre) und 3 (geplanter Verkauf der Mehrheitsbeteiligung) bekannt zu machen. Am Donnerstag, den 24. November, um 7 Uhr publizierte das Finanzdepartement das Communiqué; um 11 Uhr erläuterte Merz die beiden Beschlüsse vor der Presse.
Beschluss 2 (das Verbot von Auslandengagements) wurde vorerst geheim gehalten, um die Swisscom vorgängig ins Bild setzen zu können. Noch am Mittwochabend von 19.30 bis 20 Uhr erklärte Merz den Entscheid dem Präsidenten des Verwaltungsrats, Markus Rauh, der eine schriftliche Bestätigung forderte. Diese wurde dem Vertreter des Bundes im Ausschuss, Felix Rosenberg, am Donnerstagnachmittag in Bern überreicht. Das Departement ging davon aus, dass die Swisscom die Öffentlichkeit informiere. Unerklärlicherweise und gegen alle Regeln hielt die Swisscom diese börsenrelevante Mitteilung am Donnerstag und am Freitag aber konsequent unter dem Deckel.
Der Finanzplatz London kombinierte rascher: Wenn der Bund der Swisscom die Mittel entzieht und sich aus seiner Mehrheitsposition zurückzieht, dann ist auch das Eircom-Geschäft blockiert. Die Kurse der Gesellschaft begannen zu bröckeln.
Am Donnerstagabend gab Blocher Radio DRS ein Interview, das erst zwei Tage später in der «Samstagsrundschau» ausgestrahlt werden sollte. In diesem Gespräch plauderte er das Auslandverbot aus. Gut möglich, dass er die Swisscom so unter Druck setzen wollte. Die brisante Neuigkeit, die noch nicht über den Sender gegangen war, machte am Freitag in Journalistenkreisen die Runde. EFD-Sprecherin Elisabeth Meyerhans Sarasin sah sich mit einem «qualifizierten Leck» konfrontiert, wie sie sagt, und musste das bundesrätliche Veto bestätigen.
Die Reaktionen
Die Finanzmärkte reagierten am heftigsten. Die wohl künstlich aufgeblähte Eircom-Aktie sackte auf 1.90 Euro (minus 21 Prozent) ab. Die Anleger, die auf eine Hausse spekuliert hatten, verloren ihr Geld. Gemäss Gerüchten an den Börsen rächten sie sich durch massive Leerverkäufe der Swisscom-Papiere. Nach diesem provozierten Kurssturz (von 423 auf das Tiefst von 399 Franken) haben die Swisscom-Kurse sich mittlerweile erholt und notieren wieder im langfristigen Schnitt bei rund 417 Franken. Die Entscheide hatten den Wert der Gesellschaft nicht verändert.
Am lautesten und am harmlosesten lärmten die Politiker. Ein reales Problem haben nur Joseph Deiss, der dezidiert eine andere Politik vertritt als Doris Leuthard, die Präsidentin seiner Partei CVP, und Moritz Leuenberger. Der SP-Mann, der von allem Anfang an beteiligt war am Privatisierungsprozess und aus Gründen seines schlechten Gewissens zunächst geschwiegen hatte, geriet unter massiven Druck der Genossen. Nach seiner apathischen Darbietung im Bundesrat versuchte er mit seiner durchsichtigen Attacke auf Merz den Befreiungsschlag. Erheblich ist das Geplänkel nicht. Politisch ebenso belanglos war die heftige Bundesratssitzung vom vergangenen Freitag, als die plötzlich nervös gewordenen Magistraten sich gegenseitig mit Vorwürfen eindeckten und beschlossen, ihre Art der öffentlichen Kommunikation zu überprüfen. Ein Nebengeleise ins Niemandsland.
Am unflätigsten gebärdeten sich der (vom Bundesrat gewählte) Verwaltungsrat und das Management der Swisscom, die sich als ahnungslose Opfer darstellten und – ein geradezu grotesker Vorgang – den Inhaber ihrer Firma öffentlich beschimpften. Mit ihrem Ausraster haben sie tiefgreifende personelle und strukturelle Veränderungen in den Beziehungen zwischen Eigner und Firmenleitung geradezu unumgänglich gemacht.
tankwarth - 9. Dez, 15:59
Von Kurt Schiltknecht
Swisscom zeigt: Der Mangel an Wirtschaftswissen ist bei sehr vielen Politikern katastrophal.
Wie steht es eigentlich um die wirtschaftlichen Kenntnisse der Stimmbürger und der Politiker? Diese Frage ist deshalb so wichtig, weil in einer Demokratie häufig über Fragen entschieden werden muss, die für das Wachstum und die Beschäftigung von zentraler Bedeutung sind. Über die Kenntnisse der Bürger und Politiker weiss man wenig. Dass in den Schulen keine Anstrengungen gemacht werden, den Schülern elementare Kenntnisse über wirtschaftliche Zusammenhänge zu vermitteln, ist ebenso bekannt wie die Tatsache, dass einzelne Massenmedien Wirtschaftspolitik mit auflage- oder zuschauerverstärkender emotionaler Stimmungsmache verwechseln. Das Ergebnis der wirtschaftspolitischen Entscheidungen in den europäischen Industriestaaten – hohe Arbeitslosigkeit, wenig Wachstum und Überschuldung des Staates – lässt vermuten, dass es mit den wirtschaftlichen Kenntnissen der Bürger und Politiker nicht zum Besten bestellt ist. Warum, muss man sich fragen, ist in den letzten dreissig Jahren das Verständnis für die Anliegen der Wirtschaft immer mehr verloren gegangen, und warum finden wirtschaftsfeindliche und wachstumszerstörende Anliegen immer breitere Unterstützung?
Ein Grund liegt sicher darin, dass der einzelne Bürger sich immer weniger mit fundamentalen wirtschaftlichen Fragen beschäftigen muss. Im Zeitalter eines umfassenden Sozialstaates muss sich der einzelne Bürger nicht mehr um seine Zukunft, um seine Altersvorsorge, um eine mögliche Erkrankung oder Arbeitslosigkeit kümmern. Die Entscheidung über die Verwendung von rund fünfzig Prozent seines Einkommens wird ihm vom Staat abgenommen. Zudem gibt es immer weniger Selbständigerwerbende und Bauern, die sich um Investitionen, Produktion und das Gewinnerzielen kümmern müssen und damit noch wissen, dass sie auf die Dauer nicht mehr ausgeben als einnehmen können.
Der Volkswohlstand, der in der Vergangenheit dank einer liberalen Wirtschaftsordnung erzielt worden ist, scheint nach Ansicht vieler Politiker und Bürger inzwischen so gross geworden zu sein, dass daraus alle Bedürfnisse der nächsten Jahre problemlos befriedigt werden können. Die Umverteilung und die Defizite der öffentlichen Hand lassen zudem die Kosten der staatlichen Vorsorge und Dienstleistungen für die meisten Bürger so billig erscheinen, dass sie eine immer grösser werdende Nachfrage nach solchen Gütern und Dienstleistungen entwickeln. Ausdruck dieses Denkens ist der Versuch, jede Veränderung der bestehenden Strukturen der öffentlichen Verwaltung und der öffentlichen Unternehmungen zu verhindern und gleichzeitig den sogenannten Service public auszubauen oder zumindest auf dem aktuellen Stand zu zementieren. Insbesondere die SP und Teile der CVP setzen sich für einen flächendeckenden und qualitativ hochstehenden Service public ein. Wer könnte schon gegen so schöne Anliegen sein. Solche populären Forderungen zu formulieren, kostet im Gegensatz zu deren Umsetzung nichts.
Es ist bedenklich, wenn Politiker den Stimmbürgern immer wieder suggerieren, dass Service public mehr oder weniger kostenfrei zu haben sei und deshalb für die gesamte Volkswirtschaft nur Vorteile erbringe. Das Gegenteil trifft zu, das Ausschliessen des Wettbewerbs und die staatlichen Eingriffe in den Preismechanismus führen zu einer ineffizienten und teuren Versorgung mit öffentlichen Gütern und Dienstleistungen und belasten Bürger und Wirtschaft. Doch davon wird nie gesprochen.
Wer den Argumenten der linken Kreise bei den Diskussionen über den Verkauf der Swisscom-Beteiligung zuhört, bekommt den Eindruck, dass nur die öffentliche Hand als Grossaktionär Gewähr für einen umfassenden und funktionierenden Telefonservice bieten kann, dass die Swisscom stets den besten und billigsten Service offerieren werde und trotzdem künftig Milliardengewinne für die öffentliche Hand erwirtschaften könne. Solche statischen und politisch motivierten Wunschvorstellungen können aber die wirtschaftliche Realität nicht verdrängen. Die Tatsache, dass dank der Privatisierung die Telefongebühren dramatisch gesunken sind und damit Millionen von Telefonkunden mehr Geld für anderes zur Verfügung hatten, scheint ein Teil der Politiker bereits vergessen zu haben. Die Schweiz kann es sich in einer globalisierten Welt nicht mehr leisten, für den Service public zu hohe Preise zu bezahlen und staatliche Unternehmungen zu unterhalten, die altgedienten Politikern die Möglichkeit geben, als Verwaltungsräte oder als Manager ein Zubrot zu verdienen.
Kurt Schiltknecht ist Mitglied des Verwaltungsratsder BZ Gruppe Holding, der BZ Bank, der BZ Trust und der Walter Meier Holding.
tankwarth - 9. Dez, 15:47
Von Beatrice Schlag
Softies, hergehört: Die Frau von heute will wieder behandelt werden wie eine Frau. Selbstgereimtes, gute Manieren und «mal drüber reden» ist wirklich schön. Aber zwischendurch will sie eben auch Schweiss auf ihrer Haut spüren. Zum Sonnenuntergang einen Prolo mit Niveau – ach, das wär’s.
Frauen müssen wieder netter sein zu den Männern. Die Verzagtheit im Lager des Geschlechts, das bis vor kurzem «das starke» hiess und inzwischen für die Arterhaltung als schlichtweg unnötig gilt, ist schwer mitanzusehen. Dass die Erkenntnis männlicher Entbehrlichkeit nicht aus feministischen Reihen, sondern aus wissenschaftlichen Labors kommt, lässt selbst berühmteste Gockel einknicken. Norman Mailer etwa, der sich ein Dichterleben lang anstrengte, als aggressiver Weiberheld in die Literaturgeschichte einzugehen, wird im hohen Alter plötzlich von Horrorfantasien gebeutelt: «Männer, so schlecht sie Frauen auch behandelten, brauchten sie dennoch zur Fortpflanzung. Den Frauen hingegen hätten hundert Spermiensklaven gereicht, die sie jeden Tag melken konnten. Sie brauchen uns nicht. Und für mich ist es eine reale Möglichkeit, dass es in hundert Jahren nur noch hundert Männer auf der Erde gibt.»
Ganz so schnell wird es nicht gehen. Aber die harten Fakten in Sachen menschlicher Arterhaltung sind noch bitterer, als Mailer fürchtet. Rein theoretisch werden nicht einmal die hundert Samenproduzenten zwingend erforderlich sein, geschweige denn tägliches Melken, um den Fortbestand der Menschheit zu sichern. «Man braucht nur ihre Zellen, eine Tiefkühltruhe und eine sehr gute Stromversorgung», scherzt der britische Genetiker Steve Jones. Für den New Yorker Anthropologen Lionel Tiger alles andere als ein Anlass zur Heiterkeit. «Der Übergang von der männerzentrierten Produktion zur frauenzentrierten Reproduktion», schreibt der Autor von «Auslaufmodell Mann», «ist so tiefgreifend wie der Übergang von der Landwirtschaft zur Industrie.»
Der geschrumpfte Mann
Einem Geschlecht anzugehören, das dank Reproduktionstechnologie künftig problemlos durch einen Freezer ersetzt werden kann, würde auch das gesündeste Selbstbewusstsein ins Wanken bringen. Leider ist das Selbstbewusstsein der heterosexuellen Männer in den westlichen Industrienationen alles andere als gesund, obwohl die Fortpflanzung zurzeit noch überwiegend auf hergebrachte Art, also in warmen Betten, stattfindet. Wenn es jedoch um den gelassenen Umgang mit Frauen geht, kränkelt es dennoch schon vierzig Jahre vor sich hin. Seit Wirtschaftswunder und Feminismus die Frauen aus der Küche und in die Büros und Universitäten wirbelten, seit der Mann sich zum Pinkeln hinsetzen, für weibliche Gefühle statt für Körbchengrössen interessieren soll und sein Arbeitsplatz so unsicher ist wie die Bedeutung des Y-Faktors, ist die Freude des Mannes an seinem Mannsein in einem anhaltenden Schrumpfungsprozess begriffen.
Das Ergebnis kann in jeder Bar und an jeder Tramstation besichtigt werden: ein ziemlich gleichgültig und tendenziell unfroh dreinblickendes Wesen männlichen Geschlechts, das deutlich weniger Testosteron verströmt als die Generation vor ihm. Mann light, gewissermassen, für Frauen leider nicht bekömmlicher. Dabei hat er ästhetisch – der Disco- und später der Techno-Welle sei Dank – seit den achtziger Jahren eindeutig zugelegt. Irgendwann war er es leid, dass beim Tanzen immer nur die Schwulen mit ihren durchtrainierten Körpern unter den engen T-Shirts gute Figur machten. Inzwischen pflegt, trimmt, kleidet und schmückt er seinen Körper mit Hingabe, kauft markenbewusst ein und tanzt mit oft verblüffender Anmut.
Das ist der Erscheinung sehr zuträglich, der zwischengeschlechtlichen Erotik leider kaum. Denn inzwischen sieht er Frauen, wenn überhaupt, mit demselben Blick an, den er so häufig in den Spiegel wirft. Bin ich, fragt der Blick, nicht äusserst bemerkenswert? Nein, denken die Frauen, denn das einzige Begehren, das sie in dem Blick erkennen, ist das nach Selbstbestätigung. Einer Frau zulächeln, sich gar nach ihr umdrehen – zu viel der Anstrengung. Gab es tatsächlich einmal Männer, die Frauen nachpfiffen? Angesichts der Light-Generation zweifelt man an seiner Erinnerung. Genau so verwirrt wie die Frauen sind die Homosexuellen. Seit ein paar Jahren, sagen sie, sei ihr Gaydar, der Radar für andere Schwule, überhaupt nicht mehr zuverlässig. Es sei immer schwieriger auszumachen, ob ein Mann auf Frauen, Männer oder hauptsächlich auf sich selber stehe. «Metrosexuell» tauften die Medien das neue Wesen, an dem so vieles ansehnlich und so wenig sexuell wirkt.
Dass das Aufbegehren der Frauen, anfangs gern belächelt oder als Marotte freudloser Zicken weggewischt, den feinen Seelen in den gestählten Körpern auf Dauer zusetzen würde, war kein Wunder. Die Frauen waren nicht zimperlich in ihren Forderungen und nicht zurückhaltend mit Häme. Und leider bestachen sie in der Mehrheit weder durch Charme noch durch Humor im Umgang mit dem jäh in Ungnade gefallenen Geschlecht. Der einstige Ernährer musste zwar inzwischen nur noch die halbe Miete bezahlen, aber das zu einem hohen Preis: Er wurde vom lebenslangen Gefährten zur Option. Entweder er half bei Hausarbeit und Kinderbetreuung und war solidarisch mit ihren Bemühungen, sich auch unabhängig von ihm zu amüsieren, oder sie kam lieber ohne ihn zurecht. Die Scheidungsraten kletterten unaufhaltsam, und bis heute sind es meist die Frauen, die die Koffer packen.
Kuscheln und kuschen
Der Mann tut eine Menge, das zu verhindern. Nicht einmal der Verlust des Arbeitsplatzes erschüttert seine Grundfesten so radikal wie eine Trennung, die nicht er gewollt hat. Und weil nachgeben ihn deutlich weniger anstrengt, als lange Diskussionen mit einer möglicherweise immer ärgerlicheren Partnerin zu führen, setzt er gar nicht erst zum Widerspruch an. Wenn man in Büros mithört, wie Männer mit ihren Frauen telefonieren, hat man den Eindruck, sie seien zum gehorchenden Geschlecht mutiert. Der Kollege, der eben noch zum Aperitif mitgehen und nur kurz zu Hause Bescheid sagen wollte, flüstert nach kurzem Schweigen: «Okay Schatz, ich bin in zehn Minuten da.» Oder er jammert wie ein unzufriedenes Kind: «Aber du hast doch selber gesagt, wir sollten ab und zu... Und es war ja gar nicht meine Idee, die andern wollen unbedingt.» Auch die Stimme vieler Chefs flötet eine Oktave höher als ihr üblicher Bürobariton, kaum ist die Gattin am Draht. Das war nicht, was die Feministinnen im Sinn hatten, als sie einen neuen Gesprächston zwischen Mann und Frau verlangten.
Ebenso befremdlich wie die unterwürfigen Kinderstimmen ist die Tatsache, dass der Mann in Gesellschaft inzwischen scheinbar ungerührt hinnimmt, dass Frauen ihn zum lebenden Witz degradieren. «Du und über etwas nachdenken? Über etwas anderes als dich?», fragt die liebende Gattin mit nicht erkennbar zärtlichem Hohn, und die ganze Tischrunde lacht. Er ebenfalls, wenn auch etwas gequält. «Du und dich an einen Geburtstag erinnern? Du und freiwillig einen Putzlappen in die Hand nehmen? Du und Intuition?» Hahaha.
Es sind nicht nur die Tischgespräche. «Ich bremse auch für Männer», steht auf dem Kleber an der Stossstange. Sätze wie: «Je länger ich über Männer nachdenke, desto mehr fühle ich mich zu Hunden hingezogen» gibt es als Wandschmuck zu kaufen. In Kino und Fernsehen werden die schlagkräftigen Frauen immer zahlreicher: Lara Croft, Catwoman, Charlie’s Angels, Xenia und ständig neue Kommissarinnen, die Widersacher nicht nur souverän auf den Rücken legen, sondern auch immer etwas gescheiter sind als die Kollegen, mit denen sie sich herumschlagen müssen. Der deutsche Trendforscher Matthias Horx bezeichnete das kulturelle und gesellschaftliche Phänomen kurz und harsch als «die Vertrottelung des Mannes». «Die Männer haben sich verändert», sagt Horx. «Irgendwie hat man das Gefühl, als ob sie klein beigeben. Sie scheinen nicht mehr zu wissen, wo es langgeht. Sie trauen sich nichts mehr und bringen nichts zustande – wie Frauen früher.»
Aber da ist ein kleiner Unterschied, mit dem beide Geschlechter miserabel zurechtkommen: Während schüchterne und unsichere Frauen an männliche Beschützerinstinkte appellieren, was den Mann durchaus in Fahrt bringen kann, wirken klein beigebende Männer auf Frauen selten aufregend. Männliche Unterwerfung mag gelegentlich eine weibliche Kopffantasie sein, aber genau besehen ist sie nicht einmal im Kopf besonders interessant. Niemand mag sich mit Untergebenen messen. Deswegen hat die erotische Strahlkraft eines verunsicherten Mannes den Radius einer Funzel. Also sehen die Frauen sich nach ergiebigeren Lichtquellen um.
Das Grundmissverständnis
«Scheissfeministinnen! Machen so lange Terror, bis du nicht mehr weisst, wie du dich verhalten sollst. In den Mantel helfen oder nicht? Das Nachtessen bezahlen oder teilen? Sie einfach küssen oder vorher fragen? Kaum denkst du, jetzt machst du es ihnen ungefähr recht, fahren sie auf einen Macho ab.» Den Ausbruch einer erbitterten Funzel, so oder ähnlich, hat ungefähr jede eigensinnige Frau über fünfundzwanzig in den letzten Jahren über sich ergehen lassen. Meine Herren, Ihre wütende Ratlosigkeit ist nachvollziehbar. Aber hier gibt es ein Grundmissverständnis zu klären.
Dem Begriff Macho, in den sechziger Jahren zusammen mit Chauvi die meistverteilte feministische Beschimpfung für Grapscher, Bettflaschen, marxistische Nebenwiderspruch-Hochhalter und alle anderen Männer, die der Frauenbewegung nicht rückhaltlos zujubelten, ist in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Aufsplittung widerfahren. Die Frauenbewegung rührt sich kaum noch, viele jüngere Frauen schütteln über die feministische Verbohrtheit der Müttergeneration den Kopf. Aber wenn Mutter und Tochter heute über einen Mann sagen, er sei ein Macho, ist das nicht mehr zwingend nur ein Ausdruck von Empörung. Es schwingt eine leise Sehnsucht mit, über die Frauen nicht gern reden, weil sie dann auch sagen müssten, dass sie eigentlich nicht wissen, was sie von Männern wollen.
Wer hingegen von seinen Geschlechtsgenossen als Macho abgekanzelt wird, ist in der Regel aus Frauensicht etwas ganz anderes: ein rares Exemplar von entspanntem heterosexuellem Mann, der aus seinem Entzücken an Frauen keinen Hehl macht. Wenn Männer einen der Ihren als Macho ausmachen, handelt es sich meist um einen Anmacher von beträchtlichem Charme und Erfolg. Also um einen, der im Umgang mit Frauen weder unsicher noch befangen ist. Zumindest nicht bei den ersten Begegnungen. Da ist er nichts als unterhaltend, hängt gutgelaunt in seinem Stuhl und begeistert sich unverhohlen mehr für die Höhe ihrer Absätze als für die ihres IQs. Er ist weder herablassend noch sonst irgendwie frauenfeindlich. Er ist nur nicht sehr erpicht darauf, mit ihr über Umweltschutz oder kulturell bedeutende Anlässe zu reden. Stattdessen zwinkert er sie an, wenn sie sich über seriöse Themen herzumachen versucht. Und fragt, ob sie diese Bewegung, mit der sie gerade die Haare hinter dem rechten Ohr hervorgeholt habe, nochmals machen könne.
Mit anderen Worten: Er huldigt ihrer Weiblichkeit. Das ist etwas, was Frauen nicht mehr oft bekommen. Die Töchter der Emanzen, die Büstenhalter und Stöckelschuhe verteufelten, am liebsten sackartige Latzhosen trugen und den Verkauf der Barbie-Puppe gerne unter Strafe gestellt hätten, sehen sehr oft aus wie Barbie. Sie tragen hohe Absätze und sehr tiefsitzende Jeans, hautenge T-Shirts mit kühnen Ausschnitten und schimmerndes Lipgloss – ein erotisches Ausrufezeichen über dem andern – und ernten doch selten mehr als stumme Blicke aus ernsten metrosexuellen Gesichtern.
Mach mir nicht den Kilchsperger
Die Kunst des munteren Ansprechens hat sich zumindest in Mitteleuropa so verflüchtigt, als gingen Singles in den Ausgang, um etwas zu trinken zu bekommen. Amerikaner bereiten ihre Pick-up-Lines – Anmach-Eröffnungen – sorgfältig vor, weil sie wissen, dass die Frage, ob sie oft in diese Bar komme, jede Frau sofort gefühlstot macht. Stattdessen wagen sie Sätze wie: «Darf ich dich etwas fragen? Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick, oder soll ich später nochmals vorbeikommen?» Das wirkt nicht immer unverkrampft, aber die Bemühung wird geschätzt. Hierzulande, sagen die Frauen, herrsche hingegen Einfallslosigkeit und Plumpheit. Eine Behauptung, die von Männern energisch bestritten wird. Es seien die Frauen, die auch auf freundlichstes Ansprechen fast durchwegs angeödet reagierten und ihnen damit jede Lust vermiest hätten. Zwei Geschlechter, zwei Wahrnehmungen. Der Ausweg, dass Frauen Männer ansprechen, hat nach übereinstimmenden Aussagen beider noch immer Seltenheitswert. Die Gleichstellung an der Bartheke findet allenfalls beim Bezahlen statt.
Wenn man die Frauen fragt, gibt es nichts Leichteres, als sie anzumachen. Sie fallen, sagen sie, auf jedes vergnügte männliche Kompliment herein, das originell genug ist, sie zu überraschen. Jeder unbekümmerte Unbekannte, der sie zum Lachen bringt, kann sicher sein, einen zweiten Blick zu bekommen. Ihnen gebannt zuhören muss er nicht, im Gegenteil. «Wenn du einer Frau aus der Hand frisst, schläft sie ein», sagt ein Kollege, den alle Männer einen Macho nennen und den zahlreiche hübsche Kolleginnen schon in Unterwäsche gesehen haben. «Frauen wollen von Männern nicht, was sie selber können.» Was können Frauen nicht? «Bären töten», sagt er, «Apachen niederwerfen.» Was können Frauen? «Männer verstehen.»
Er hat Recht. Zumindest, was das Bärentöten anbelangt. Ob Frauen Männer verstehen, darf bezweifelt werden, aber sie verwenden viel Zeit darauf, es zu versuchen und sich selber verständlich zu machen. Gleichzeitig waren es die Frauen, die, als vor ein paar Jahren das Schimpfwort «Frauenversteher» aufkam, nicht aufhören wollten, darüber zu lachen. Der Frauenversteher, jener aufmerksame Zuhörer und hilfsbereite Rücksichtnehmer, den die feministische Müttergeneration grossgezogen hat, ist die Art Mann, den man sich als Sitznachbarn in einem Computerkurs wünscht. Fürs Herz hoffen nicht nur die Töchter, sondern auch die Mütter auf aufregendere Männlichkeit.
Was ist aufregende Männlichkeit? Etwas in Richtung «Gladiator» Russell Crowe, des männlichsten Kinostars seit Jahren. Oder doch nicht, seine privaten Prügeleien sind unsexy. George Clooney? Etwas verhalten, aber nicht schlecht. Eminem? Spitzenmusik, aber als Mann? 50 Cent? Zu fremd. Jude Law? Schön, aber irgendwie lahm. Roman Kilchsperger? Nicht frech genug. «Einer, der nach Pferdekacke riecht wie ein richtiger Mann», sagt verblüffenderweise eine Kollegin, die mitten in Zürich wohnt und noch nie in einem Sattel gesessen hat. «Einer, dem so behaglich ist in seiner Männerhaut, dass du dich ihm überlassen willst.» – «Einer, der Baby zu mir sagt und mir die Autotüre aufmacht.» – «Einer, der mich nicht anfasst wie ein geschütztes Tier.» – «Einer, der sich von mir nicht beeindrucken lässt.» – «Einer, der um zwei Uhr morgens mit mir redet, obwohl wir schon miteinander geschlafen haben.» – «Einer, der sagt, sei still, ich muss jetzt schlafen.» Die Antworten, streng unwissenschaftlich im weiblichen Bekanntenkreis zwischen 25 und 60 erhoben, sind nicht, was man nach vierzig Jahren Ringen um Gleichstellung erwartet. Pferdekacke. Baby. Sei still.
«Die moderne Frau interessiert sich immer mehr für sich selbst. Ihr Leben wird durch Kompetenz, Karriere und Konsum bestimmt. Sie denkt und handelt immer mehr wie ein Mann», schrieb das Gottlieb-Duttweiler-Institut im letzten Jahr. «Erfolg im Beruf ist der neue Sex», behauptet heute Candace Bushnell, einst Autorin von «Sex and the City». «Viele jüngere Frauen reden kaum noch über Sex und Beziehungen, sondern über ihre Karrieren.» Wo denn? Man setze eine Runde beruflich erfolgreicher Frauen zusammen, versorge sie mit Wein und höre zu, worüber sie nach einer halben Stunde reden. Über das Elend mit den Männern. Über das Elend ohne Männer. Darüber, ob sich die Frauen mit der Forderung nach Gleichberechtigung im Privatleben in den Fuss geschossen haben. Die Männer sind nicht mehr, wie sie waren. Die Frauen sind es genauso wenig, aber irgendwie doch.
Wohin mit der Einsicht?
Sie träumen nach wie vor von einem Mann fürs Leben, der sie auf Händen und ihren Koffer zum Bahnhof trägt. Aber wenn er ihnen die Tür aufhält, sagen sie: «Kann ich selber.» Warum? Seit ein paar Jahren tragen sie wieder Stöckelschuhe, in denen man nur ein paar Dutzend Meter überzeugend gehen kann, dafür sehr weiblich daherkommt. «Backlash!», erkennen Feministinnen von damals. Nein, das ist sehr banale Psychologie. Wer überfordert ist, greift auf alte Strategien zurück. Der Stöckelschuh, dieses Folterteil, von dem Männer glücklicherweise keine Ahnung haben, wie es sich nach drei Stunden Tragen anfühlt, ist ein Leuchtfeuer weiblicher Ratlosigkeit. Seht her, wie weiblich. Und wie spitz ich euch damit auf die Zehen treten kann.
«Die Frauenbefreiung war weniger ein konsequenter Weg als ein verwirrender Zickzack», schreibt Maureen Dowd, als gnadenlos gefürchtete Kolumnistin der New York Times, in ihrem Anfang November in den USA erschienenen Buch «Are Men Necessary?». «Mir war nicht klar, dass die unerwartete Folge der sexuellen Revolution eine Verstärkung der Verwirrung zwischen den Geschlechtern war, die Frauen zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einen Knäuel von Abhängigkeit und Unabhängigkeit führte. Je stärker Frauen die Männer imitierten, desto klarer wurde uns, wie absolut verschieden die Geschlechter sind.» Und wohin mit der Einsicht? Das vielerwartete Buch der berühmtesten Journalistin der USA, die vehement und respektlos gegen Politiker zu Feld zieht, ist zum Thema Mann und Frau überraschend ratlos. Eine tröstliche Lektüre.
Frauen wissen sehr klar, was sie nicht mehr wollen. Von dem, was sie wollen, haben sie wenig Ahnung. Liebe? Kinder? Karriere? Ja bitte, alles, und zu meinen Bedingungen. Es geht nicht. Mutig genug, ihr Durcheinander von Sehnsüchten und Ansprüchen zu entwirren, sind wenige. Die eigenen Widersprüche fühlen sich an wie Niederlagen.
Lösungen? Weit weg. Ein Moment von erschöpfter Versöhnlichkeit wäre nicht schlecht. Wir haben uns alle übernommen.
tankwarth - 9. Dez, 15:46
Von Peter Bodenmann
Stich ins Herz. Bild: Niklaus Spoerri (remote.ch)
Der Bundesrat kontrolliert 66 Prozent der Swisscom-Aktien. Während Jahren kümmerte sich unser aller Mehrheitsaktionär einen Dreck um die Strategie der Swisscom. Die digitalen Analphabeten im Bundeshaus liessen Management und Verwaltungsrat machen, was sie wollten. Im letzten Moment zog der Bundesrat jetzt die Handbremse. Die Swisscom darf nicht im Ausland investieren. Und soll so schnell wie möglich verkauft werden.
Der Entscheid hat zwei Vorteile. Der Schritt nach Irland hätte unweigerlich zur Privatisierung des Unternehmens geführt. Und ab jetzt muss der aus dem Tiefschlaf erwachte Mehrheitsaktionär sagen, wie es weitergeht.
In Zukunft kann man über eine Leitung fernsehen, internetten, telefonieren und sich alle Filme dieser Welt herunterziehen. Am besten geht dies über ein Glasfasernetz, am langsamsten über das Kupferkabel. Mit einer Investition von zwei bis drei Milliarden könnte die Swisscom innert zwei Jahren alle Haushalte mit einem Glasfaseranschluss versorgen. Im Wettbewerb der Standorte würde die Schweiz so Boden gutmachen.
Statt diese unternehmerische Verantwortung zu stemmen, will der Bundesrat den Laden so schnell wie möglich ans Ausland verramschen. Seine Chancen beim Volk sind gleich null. Begriffen hat dies – im Gegensatz zum freisinnigen Parteipräsidenten Pelli – die CVP. Deren Präsidentin Doris Leuthard im O-Ton: «Ein Verkauf an fremde Investoren könnte zu einem weiteren personellen Aderlass führen. Das wollen wir nicht riskieren.» Die Liebe zum Service public mischt sich bereits mit einer Prise Fremdenfeindlichkeit. Mit dieser Mischung gewinnt man in der Schweiz jede Abstimmung. Umso mehr als die Swisscom hoch rentabel ist.
Warum haben Schmid, Deiss und Couchepin für die Privatisierung gestimmt? Es geht ihnen gar nicht um die Swisscom. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit beschweren sich Blocher und Merz bei der Wirtschaft über ihre drei Bundesratskollegen. Das seien gar keine richtigen Bürgerlichen. Jetzt lässt das Trio die beiden laufen.
Eine Frage bleibt vorerst offen: Laufen Blocher und Merz bereits im Parlament auf? Oder kommt es – kurz vor den eidgenössischen Wahlen – zu einer Volksabstimmung? Alles hängt von der CVP ab. Vielleicht kann und will Doris Leuthard ihre Rechtsausleger gar nicht auf Kurs zwingen.
Denn politisch wäre für die sich vornehm zurückhaltenden Schmid, Couchepin und Deiss eine Volksabstimmung ideal. Selbst die SVP-Bauern würden aus Angst vor WTO und EU geschlossen gegen den Ausverkauf der Swisscom an das böse Ausland stimmen. Der Hinterletzte in der Wirtschaft und in deren Blättern würde begreifen, dass Strukturwandel in der direkten Demokratie nur mit den und nicht gegen die Bürger zu machen ist.
Nach einem Nein des Volkes wäre Blocher geschwächt, obwohl er mit seinem Nein zu der von Leuenberger tolerierten Expansion ins Ausland letztlich die sonst unaufhaltsame Privatisierung verhindert hat. Alles etwas kompliziert?
Der Autor ist Hotelier in Brig und ehemaliger Präsident der SP Schweiz.
tankwarth - 9. Dez, 15:44
Von Lukas Hässig
Über ihr Bluewin TV strahlt die Swisscom bald Internet-Fernsehen aus. Das Hilfsprogramm kommt wohl zu spät – und ist doch das einzig sinnvolle.
Sieht nach Zukunft aus, hat aber wenig: Festnetz-Managementcenter der Swisscom in Zürich. Bild: Martin Ruetschi (Keystone)
Die Swisscom steht vor einem «Dilemma», von dem andere Firmen nur träumen können: Beim Schweizer Telekomkonzern liegt viel zu viel Bargeld nutzlos herum.Wie diese Milliarden zu verwenden sind, darüber streiten sich Finanzexperten und Swisscom-Führung seit Wochen. Erstere fordern einen «Goldregen» für die Aktionäre mittels hoher Einzelausschüttung, Letztere liebäugelt mit einer Expansion ins Ausland. Derzeit im Visier der Schweizer: die Ex- Monopolisten Irlands und Dänemarks.
Im öffentlichen Gezänk um die Swisscom-Kasse geht eine andere Weichenstellung vergessen, die für die Zukunft der Firma entscheidend wird. Die Nummer eins im Schweizer Telekommarkt baut derzeit unter Hochdruck ein drittes Standbein auf. Neben Telefon und Internet wird die Swisscom schon bald auch Fernsehprogramme und Kinofilme anbieten. Dafür investiert sie in den nächsten Jahren mehrere hundert Millionen Franken. Im Dezember erfolgt der Startschuss, dann unterzieht eine Schar eigener Angestellter das neue Angebot mit dem Namen Bluewin TV einem Härtetest. Läuft alles nach Plan, kommt das erste Internet-Fernsehen im grossen Stil nächstes Jahr in die Schweizer Haushalte. Mit ihrer TV-Strategie ist die einstige Telefonmonopolistin spät dran, im Konkurrenzkampf gegen die Kabelnetzanbieterin Cablecom liegt sie zurück. Diese bietet ihren Kunden schon heute die drei Produkte Fernsehen, Internet und Telefonie aus einer Hand an. Wer das kann, macht das Rennen um den Kunden, ist die Branche überzeugt, weil der Abonnent immer weniger Lust habe, sich mit mehreren Anbietern herumzuschlagen.
Das Zusammenspiel von Sprache, Bild und Daten über ein und dasselbe Netz eröffnet neue Möglichkeiten. Beispielsweise kann dereinst das Aufzeichnen von TV-Sendungen mittels Handy programmiert werden. Oder Sendungen, die auf dem digitalen Recorder zu Hause aufgenommen wurden, können auf einem Mobilgerät angeschaut werden.
Für ihre Aufholjagd greift die Swisscom tief in die Taschen. Allein für die Firma CT Cinetrade AG, die neben Kinos auch ein Pay-TV-Angebot (Teleclub) und zahlreiche Filmrechte besitzt, soll das Unternehmen laut Branchenkennern über 100 Millionen Franken auf den Tisch gelegt haben. Hinzu kommen die Kosten, um das Netz fernsehtauglich zu machen. Die Swisscom äussert sich nicht zum Preis.
Die stolze Summe für eine mittelgrosse Firma zeigt, wie wichtig es in diesem Multimilliardengeschäft geworden ist, Zugriff auf möglichst viele Inhalte zu haben. «Content is king» heisst das im angelsächsischen Raum: Nur wer über eine grosse Zahl von Filmrechten verfügt, hat eine Chance auf neue Kunden. Bleiben diese fern, werden die hohen Investitionen für die neue Technologie zum finanziellen Waterloo.
Auf der Jagd nach Zuschauern kommt der Swisscom der neueste Trend zu Hilfe. Der heisst «Video on Demand» und meint das Abrufen von Filmen zu jeder Tages- und Nachtzeit über das Kabel oder das Internet. Es sind nicht mehr die privaten und öffentlich-rechtlichen Fernsehstationen, die allein bestimmen, wann was über die Mattscheibe flimmert. In Zukunft wird der Kunde selbst entscheiden, wann er seinen Lieblingsfilm anschauen will. On demand eben – auf Abruf.
Kinozeit vertreiben
Das veränderte Kundenverhalten stellt die Wertschöpfungskette im Filmhandel auf den Kopf. Heute erfolgt die Verwertung noch nach einem streng geregelten zeitlichen Ablauf. Zuerst kommt der Start im Kino, dann folgt der DVD-Verleih (früher waren es Videokassetten). Erst wenn das Potenzial der Einzelkäufer – Kinogänger und DVD-Erwerber – maximal ausgeschöpft ist, steht die Massenverwertung via Fernsehen an. Den Anfang macht wiederum das höherpreisige Medium, das Bezahlfernsehen, bevor der Film schliesslich im sogenannten Free TV, einem frei zugänglichen Fernsehkanal, abgespielt wird. Wenn jetzt die Produktionskosten immer noch nicht eingespielt sind, gilt der Film als Verlustproduktion. Video on Demand (VOD) ermöglicht bisher undenkbare Verwertungsmodelle. So könnte der nächste James-Bond-Film am Tag vor dem Kinostart weltweit zum Abrufen per VOD angeboten werden. Ein einfaches Zahlenbeispiel illustriert die Dimensionen des neuen Vertriebswegs. Um Produktionskosten von, sagen wir, 50 Millionen Dollar auf einen Schlag einzuspielen, brauchte es weltweit nur 5 Millionen Zuschauer, denen der vorzeitige Konsum des neuen Bond-Films 10 Dollar Wert ist. Selbst wenn nur halb so viele Kunden dazu bereit sind, würde mit diesem Geschäftsmodell immer noch ein Grossteil der Produktionskosten innert kurzer Zeit eingespielt.
Für die traditionelle Filmverleihbranche bedeutet diese Entwicklung eine Gezeitenwende. Einer hat früh darauf reagiert. Stephan Sager, Eigentümer der Cinetrade, verkaufte seine Firma im Herbst 2004 an die Swisscom. Ohne starken Vertriebspartner wie den Telekomkonzern mit seinem eigenen Netz hätte Sagers Firma in der neuen Vertriebswelt ums Überleben zu kämpfen.
Für die Swisscom ist neben den Filmrechten das Know-how des Kenners der internationalen Filmbranche entscheidend. Deshalb verpflichtete sie Sager als Manager für ihr Filmgeschäft. Sager soll den Schweizern, die in Cannes und Hollywood unbekannt sind, die Türen zu den Filmproduzenten öffnen.
Was die Swisscom versucht, ist auch im Ausland im Gang. Der amerikanische Telekomriese AT&T setzt nach einer mehrjährigen Krise unter neuer Eigentümerschaft ebenfalls auf das Fernsehgeschäft mittels Internet-Technologie. Die Strategie von AT&T, Swisscom und anderen Grossen lautet: Konsumenten und Unternehmen über ein Netzwerk Bilder, Daten und Gespräche via mobile oder fixe Stationen anbieten.
Der Weg dahin ist steil. Laut AT&T wird in drei Jahren erst die Hälfte aller Haushalte Zugang zur neuen Technologie haben. «Viel zu spät», meinte kürzlich Brian Roberts, Chef des grössten US-Kabelnetzbetreibers Comcast. Er prophezeite den Telekomfirmen Gegenwind bei ihren TV-Aktivitäten. «Das gesamte Netzwerk neu aufzustellen, nur um ein Anbieter mehr in einem gesättigten Geschäft zu sein – mir ist schleierhaft, wie sich das je auszahlen soll.» Die Zweifel sind nicht allein Ausdruck von Konkurrenzdenken. Technische Anlaufschwierigkeiten zeigen, wie ambitiös die Fernsehinitiativen der Telekomfirmen sind. Bei der Swisscom waren anfangs zwei «Set-Top-Boxen» vor- gesehen, um Telefonanschluss und Fernsehapparat zu verbinden. Inzwischen genügt eine. Oder: Im Unterschied zum Kabelfernsehen werden nicht gleichzeitig Dutzende von TV-Programmen über das Kabel in die Haushalte gespeist – jeder Sender wird einzeln aus dem In- ternet abgerufen. Erste Tests zeigten aber, dass mindestens zwei Programme gleichzeitig verfügbar sein müssen – eines zum Anschauen, ein zweites zum Aufzeichnen.
Wie schwierig der TV-Einstieg auch ist – die Swisscom hat keine Alternativen. Will sie in ein paar Jahren wieder wachsen, muss sie den Rückgang im Kerngeschäft kompensieren. Der Druck der Konkurrenz von Cablecom über Sunrise bis zu Tele 2 wird dem Platzhirsch weiter zusetzen. Der Kampf hinterlässt Spuren in der Swisscom-Rechnung. Bis September brachen die Einnahmen im Fixnetz (Gespräche ab dem festen Anschluss zu Hause und das Surfen im Internet) um 6 Prozent ein. Weil die Umsätze in der Mobiltelefonie ebenfalls sinken, wird die Swisscom für das ganze Jahr weniger Umsatz ausweisen.
Es ist die Fortsetzung einer jahrelangen Schrumpfkur. Seit der Schweizer Telekommarkt liberalisiert wurde, ging der Personalbestand der Swisscom von weit über 20000 auf noch 15000 Mitarbeiter zurück. Unternähme die Schweizer Marktführerin nichts, würde der Negativtrend noch lange andauern.
tankwarth - 9. Dez, 15:43
Das Harvard-Konzept ist eine Methode um Verhandlungen sachbezogen zu führen. Es beruht auf dem „Harvard Negotiation Project“ der Harvard Universität. Es ist ein Teil des „Program on Negotiation“ der Harvard Law School [1].
Das Harvard-Konzept möchte bei Verhandlungen erreichen, dass drei Prinzipien beachtet werden. Verhandlungen sollen erstens eine vernünftige Übereinkunft zustande bringen, zweitens effizient sein und drittens das Verhältnis zwischen den Parteien verbessern.
Dafür ist es notwendig, dass die Verhandelnden vier Aspekte beachten. Sie müssen
- die beteiligten Menschen und die Probleme getrennt voneinander behandeln
- die Interessen der Beteiligten und nicht die Positionen in den Mittelpunkt stellen vor der entscheidenden Sitzung oder Konferenz mehrere, eigene Wahlmöglichkeiten entwickeln
- das Ergebnis auf möglichst objektiven Entscheidungsprinzipien aufbauen
tankwarth - 9. Dez, 14:39
Rosenberg geht davon aus, dass Menschen unter freien Bedingungen gerne geben und die empathische Verbindung zum Mitmenschen suchen. Die GfK soll helfen, sich ehrlich auszudrücken und empathisch zuzuhören. Empathie ist nach Rosenberg ohnehin eine Grundvoraussetzung gelingender Kommunikation und sie hilft auch mit Menschen zu kommunizieren, die selbst nicht gewaltfrei kommunizieren oder aggressiv sind. Sie gibt dem anderen die Möglichkeit, sich zu verändern ohne das Gesicht zu verlieren. Das Grundmodell kann uns also helfen, uns verständlich zu machen, aber auch genutzt werden, um die Aussagen anderer zu verstehen.
Die vier Schritte, auf denen die GfK beruht, lassen sich unter den Stichworten: Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte zusammenfassen:
Zuerst beschreiben wir eine konkrete Handlung, die wir beobachten und die unser Wohlbefinden beeinträchtigt. Hierbei ist es wichtig, tatsächlich eine Beobachtung zu äußern und sie nicht mit einer Bewertung zu vermischen. So ist die Aussage Du beachtest mich nicht in einer Ehe keine Beobachtung. Erstens impliziert sie eine Bewertung, ein Urteil über den anderen, und zweitens ist sie zu abstrakt und allgemein. Du hast in der letzten Woche keinen Abend mit mir verbracht spezifiziert die Aussage, ohne den anderen zu bewerten. Wird eine Beobachtung mit einer Bewertung vermischt, neigt das Gegenüber dazu, nur die Kritik zu hören. Die Chance, dass unsere Bedürfnisse gehört werden und dass auch wir die Bedürfnisse des anderen hören, verringert sich. Es kommt vor, dass trotz bewertungsfreier Äußerungen vom Gegenüber eine Kritik herausgehört wird. Hier hilft es, den anderen das Gesagte paraphrasieren zu lassen (siehe auch: aktives Zuhören).
Dann bringen wir unsere Gefühle mit dem in Verbindung, was wir beobachten. Wir erklären dem anderen, was wir dabei fühlen und können ihn auch nach seinem Gefühl fragen. Ob wir nun bei unserem oder seinem Gefühl bleiben, beides hilft, um in einen empathischen Kontakt zu kommen. Ich fühle mich einsam wäre hierbei die Äußerung eines Gefühls, ich fühle mich vernachlässigt dagegen die Äußerung eines Pseudogefühls . Wichtig ist es hierbei, Verantwortung für die eigenen Gefühle zu übernehmen. Manchmal reagieren wir oder andere auf bestimmte Situationen mit mehreren Gefühlen. Hier hilft es, die Gefühle nacheinander zu betrachten.
Nun betrachten wir Bedürfnisse, Vorstellungen und Wünsche, aus denen Gefühle entstehen. Hinter bestimmten Gefühlen stehen nach Rosenberg immer Bedürfnisse. Vielleicht steht hinter dem Gefühl der Einsamkeit das Bedürfnis, beachtet und geliebt zu werden. Oftmals sind die Bedürfnisse aber nicht auf den ersten Blick erkennbar und bleiben uns selbst und anderen verborgen, dann können wir uns ratend den Bedürfnissen des anderen nähern. Gerade bei Handlungen oder Aussagen, die uns ärgern, hilft es uns, die dahinter liegenden Bedürfnisse zu erfragen und zu verstehen. Möglicherweise lehnen wir z. B. rassistische Aussagen ab, verstehen wir jedoch die dahinter liegenden Bedürfnisse, kommt es zur Empathie. Wir können dann unsere Wertvorstellung durchaus verteidigen, die aus unseren Bedürfnissen entspringt, ohne den Kontakt zum anderen zu verlieren.
Zum Schluss äußern wir eine konkrete Handlung, um die wir bitten mögen, "damit unser Leben reicher" wird. Um Bitten verständlich zu äußern, müsse man sie mit seinen Bedürfnissen und Gefühlen in Verbindung bringen. Rosenberg schlägt vor, Bitten in einer "positiven Handlungssprache" zu formulieren. Zum einen bedeutet dies nicht zu sagen, was jemand tun oder nicht tun sollte, sondern was man sich von jemandem erbittet. Wenn ich sage: Ich möchte, dass du nicht mehr die ganze Zeit weg bist!, dann ist noch lange nicht sicher, ob er verstanden hat, was ich eigentlich möchte. Je konkreter die Handlung, um die gebeten wird ist, umso besser: Ich bitte dich, dass du in der nächsten Woche einige Abende mit mir verbringst. Auch hier hilft es, das Gesagte paraphrasieren zu lassen, um herauszufinden, ob es Missverständnisse gab.
Rosenberg fasst die Kommunikationsart der GfK in folgendem Satz zusammen:
"Wenn a, dann fühle ich mich b, weil ich c brauche. Deshalb möchte ich jetzt gerne d."
An unserem Beispiel:
"Wenn du keinen Abend in der Woche mit mir verbringst, dann fühle ich mich einsam, weil ich Liebe und Beachtung brauche. Deshalb möchte ich dich gerne darum bitten, diese Woche einige Abende mit mir zu verbringen."
Dieses Grundmodell soll nach Rosenberg nicht stur angewendet werden, variiert in der Reihenfolge und ist eher eine Hilfe, in soziale Beziehungen mit einem anderen Bewusstsein zu treten, als eine Technik. Die GfK ist nicht von heute auf morgen anwendbar und bedarf einer gewissen Übung. Ob man mit der GfK bei massiven Übertretungen durch den anderen Grenzen ziehen kann, darüber wird gestritten. Sie ist jedoch in der Praxis ein bewährtes Mittel, um in konfliktreicher Kommunikation die Chance zu erhöhen, empathisch miteinander umzugehen, und die gegenseitigen Bedürfnisse zu erfüllen.
Kritik
Aus systemischer Sicht gehören Provokation, Machtdemonstration und Wettbewerb zum gesunden menschlichen Erleben, welches auch ein Bestandteil ganzheitlicher Kommunikationsprozesse ist. Aus Sicht der Themenzentrierten Interaktion wird ebenfalls darüber gesprochen die eigenen Interpretationen so lange wie möglich zurückzuhalten (Hilfsregel der TZI), jedoch wird selbst hier dem Urteil und der Wertung nicht völlig der Nutzen abgesprochen. Im Umfeld von Deeskalation und Konfliktmanagement klammern auch andere Konzepte den ganzheitlichen Umgang mit Drohungen und liebevollem Umgang nicht so kategorisch aus. Auch die Mäeutik des Sokrates will nicht die Wertung vollkommen bannen, sondern stellt ihren Nutzen in würdigender Form zur Verfügung. Nicht zuletzt fordert das aus dem Businessbereich stammende sog. Harvard-Konzept explizit sogar Hart in der Sache - weich zum Menschen.
tankwarth - 9. Dez, 14:35
Lebensentfremdende Kommunikation
Unter 'Lebensentfremdender Kommunikation' versteht Rosenberg Formen der Kommunikation, die langfristig zu Gewalt gegen uns selbst und anderen beitragen, wobei mit Gewalt keineswegs nur die physische gemeint ist. Sie vermindert auch die Empathie mit uns und anderen. Es sind vor allem drei Elemente, die Teil der Lebensentfremdenden Kommunikation sind:
Das (moralische) Urteilen oder Verurteilen von Leuten, die sich nicht in Übereinstimmung mit unseren Werten verhalten
Das Leugnen der Verantwortung für eigene Gefühle und Handlungen
Das Stellen von Forderungen
zu 1. Das Urteilen über Leute geht oft mit dem Gefühl von Ärger einher. Das Fehlverhalten der anderen wird analysiert und verurteilt. Der andere wird als schlecht, egoistisch oder böse gesehen. Als Ursache eines Konflikts gilt das falsche Verhalten anderer. Die hinter den Handlungen liegenden Bedürfnisse werden eher verschleiert als offen gelegt. Rosenberg unterscheidet zwischen moralischen Urteilen und Werturteilen. Wenn wir nun ein Verhalten antreffen, das unserem Werturteil widerspricht, neigen wir dazu, die andere Person moralisch zu verurteilen. Rosenberg schlägt vor, das Werturteil zu verteidigen, ohne die Person zu verurteilen, so kann das Verhalten von der Person getrennt werden. Wenn sich z. B. ein Vorgesetzter über einen Mitarbeiter lustig macht, können wir sagen: Mir ist es wichtig, sich über Fehler anderer nicht lustig zu machen, ich habe Angst, dass man sich auch über mich lustig macht, wenn ich einen Fehler mache! Lebensentfremdende Kommunikation wäre: Sie sind arrogant. Der Verzicht auf moralische Urteile kann ganz pragmatisch sein, die Chance, dass unser Bedürfnis erfüllt wird, steigt, wenn wir den anderen nicht verurteilen.
zu 2. Eine andere Form der Lebensentfremdenden Kommunikation sieht Rosenberg im Leugnen von Verantwortung. Wir können sowohl die Verantwortung für Handlungen als auch für Gefühle leugnen. Wir können andere für unsere Handlungen verantwortlich machen, aber auch gesellschaftliche Normen und Wertvorstellungen: Ich muss heute Abend lustig sein, weil das eine gesellige Runde ist (und man dort lustig ist). Man kann auch die Verantwortung für die eigenen Gefühle leugnen oder sie anderen zuschieben. Eine Mutter sagt z. B. zu ihrem Kind Es macht mich traurig, dass du die Hose schmutzig gemacht hast. Dabei steht hinter diesem Gefühl ein Bedürfnis (z. B. heute einen arbeitsfreien Tag zu haben) und es ist keine zwangsläufige Reaktion. Die Mutter könnte sich auch freuen, dass das Kind mit Freunden gespielt hat. Rosenberg schlägt vor, in der Ich-Form zu reden und von den eigenen Bedürfnissen auszugehen. Eine häufige Form des Leugnens der Verantwortung für eigene Gefühle ist auch das Äußern von Pseudogefühlen, z. B. ich fühle mich provoziert. Hier handelt es sich nach Rosenberg um ein Pseudogefühl, das ein Urteil über den anderen impliziert.
zu 3. Das Stellen von Forderungen anstatt von Bitten ist eine weitere Form der Kommunikation, die die Empathie zwischen Menschen verringert. Der Unterschied zwischen Bitte und Forderung ist, dass eine Bitte auch nicht erfüllt werden kann, bei einer Forderung drohen hier negative Sanktionen. Dies muss nicht immer in Form von offensichtlichen Strafen, wie z. B. Taschengeldabzug in der Erziehung oder aggressivem Verhalten passieren, es kann auch durch die Erzeugung von Angst oder Schuldgefühlen beim Gegenüber passieren. Wenn in einer Partnerschaft geäußert wird: Ich möchte, dass Du mehr Zeit mit mir verbringst dann kann dies eine Bitte, aber auch eine Forderung sein. Erst wenn dies nicht passiert und er ihr zu verstehen gibt Du lässt mich total alleine, du bist egoistisch zeigt sich, dass es eine Forderung war. Hier weist Rosenberg darauf hin, dass die GfK keine Methode ist, um andere zu manipulieren, auch eine in GfK gestellte Bitte kann abgelehnt werden. Allerdings erhöht diese Form der Kommunikation die Chance aller, ihre Bedürfnisse besser zu erfüllen.
tankwarth - 9. Dez, 14:33