Blut ist nicht der Rede wert
Weltwoche Ausgabe 47
Ein TV-Sportjournalist geht nicht zur Arbeit, er geht seinem Hobby nach. Beim Spiel Türkei gegen die Schweiz hatte das wieder böse Folgen.
Sportkommentator Matthias Hüppi nahm seinen ganzen Mut zusammen. Die Vorgänge nach dem Türken-Spiel, deutete er im TV-Studio an, seien möglicherweise, unter Umständen, allenfalls, vielleicht doch nicht ganz normal, er meine ja nur, womöglich, es könnte ja sein. Sein Gesprächspartner Christoph Daum, Trainer von Fenerbahce Istanbul, fuhr ihm dennoch gleich übers Maul. Die Schweizer, belehrte er Hüppi, sollten «stolz sein, statt zu heulen». Jetzt sah Sportskamerad Hüppi aus wie ein eingeschüchterter Zwerghase, der eins hinter die Löffel bekommen hatte. Die Prügeleien nach dem Spiel waren ab sofort im Schweizer Sportfernsehen kein Thema mehr. Hüppi oben im Studio, wie seine Kollegen unten im Stadion, redeten nur noch über Fussball und nicht über Fusstritte, nur noch über Handelfmeter und nicht über Handgreiflichkeiten.
Ältere Fussballsemester erinnerten sich, es war genau zwanzig Jahre her. Im Heysel-Stadion in Brüssel gab es 1985 beim Meistercup-Final zwischen Liverpool und Juventus Dutzende von Toten. Reporter Beni Thurnheer kommentierte das Spiel, als wäre nichts geschehen. Dann blendete sich TV DRS wortlos aus und strahlte einen Naturfilm mit Hans A. Traber aus.
2005 war es vergleichbar, auch die Argumentation des TV-Teams war dieselbe. Was ausserhalb des Rasens geschehe, habe «nichts mit Sport zu tun». Was nichts mit Sport zu tun hat, ist nicht relevant für die Sportredaktion.
1985 setzte es nach der offenkundigen Verletzung der Informationspflicht einen TV-Skandal. 2005 setzte es nach der offenkundigen Verletzung der Informationspflicht keinen TV-Skandal. Zu gross war das patriotische Entzücken, um es mit einer Diskussion über publizistische Fehlleistungen zu versalzen.
Wir haben die rotweisse Fahne inzwischen in den Schrank gehängt und können zur nüchternen Interpretation anheben: Das Schweigen der TV-Lämmer zeigte uns wieder einmal den Unterschied zwischen Sportjournalisten und Nicht-Sportjournalisten auf. Viele Sportjournalisten haben irgendwann aus ihrem Hobby einen Beruf gemacht. Sie freuen sich, wenn sie ins Stadion fahren dürfen, weil ihnen dort beruflich vergönnt ist, was sie privat interessiert. Das unterscheidet sie von den meisten Branchenkollegen. Es gibt keinen Inlandredaktor, der darüber jauchzt, dass er die Nationalratsdebatte zum Rüstungsprogramm verfolgen darf. Und rar sind die Wirtschaftsjournalisten, die der Generalversammlung von Novartis entgegenfiebern.
Sportjournalisten begegnen ihrem Thema mit Leidenschaft und Nähe. Andere Journalisten begegnen ihren Themen mit Zynismus und Distanz. Leidenschaft und Nähe verführen zu einer protektionistischen Bewahrungshaltung. Man möchte ausklammern, was nicht sein sollte und was das Idealbild trübt. Doping, Bestechung und Gewalt – «das gehört nicht zum Sport».
Solche Romantik verhindert, wie in Istanbul, das Bemühen um Aufklärung. Nachdem Matthias Hüppi und seine Sportskollegen die objektive Information verhindert hatten, stand «10 vor 10» auf dem Programm. Dort erfuhr man aus erster Hand von den Prügelszenen im Kabinengang. «10 vor 10»-Journalisten sind normale, zynische Nachrichtenjournalisten. Sie lieben den Fussball nicht. Sie lieben ihn nur, wenn er gute Schlagzeilen liefert. Fairerweise müssen wir sagen, dass sich auch die Sportjournalisten der gedruckten Presse in den letzten Jahren emanzipiert haben. Sie solidarisieren sich immer weniger, sie recherchieren immer mehr. Die Spuck-Affäre Frei, die Doping-Affäre Camenzind, die Finanz-Affäre Blatter: Die sportiven Schonflächen sind vor allem bei grossen Tageszeitungen wie Blick, NZZ und Tages-Anzeiger enger geworden.
Im Schweizer Fernsehen hingegen hat sich die Spezies der Verwedler und Schönfärber gehalten. Nach der Fehlleistung von Istanbul verteidigte sich TV-Sportchef Urs Leutert, man hätte seine Leute «unter Androhung von Gewalt» an der Berichterstattung gehindert. Das ist natürlich Quatsch. Nicht nur «10 vor 10» informierte gleichzeitig aus dem Kabinengang vor Ort. Auch bei der ARD berichtete Reporter Nick Golüke, der selber einiges abbekommen hatte, live vor der Kamera.
Wir wollen hier den Berufsstand der Journalisten nicht heroisieren. Aber die «Androhung von Gewalt» hindert im Normalfall keinen daran, dennoch an Informationen heranzukommen. Vielleicht bekommt man keine TV-Bilder, aber Informationen bekommt man immer. Um Informationen kämpft man nur dann nicht, wenn einem ganz recht ist, dass sie nicht öffentlich werden. Die Prügelszenen von Istanbul hatten tatsächlich mit Sport nichts zu tun. Sie hatten mit Journalismus zu tun.
Ein TV-Sportjournalist geht nicht zur Arbeit, er geht seinem Hobby nach. Beim Spiel Türkei gegen die Schweiz hatte das wieder böse Folgen.
Sportkommentator Matthias Hüppi nahm seinen ganzen Mut zusammen. Die Vorgänge nach dem Türken-Spiel, deutete er im TV-Studio an, seien möglicherweise, unter Umständen, allenfalls, vielleicht doch nicht ganz normal, er meine ja nur, womöglich, es könnte ja sein. Sein Gesprächspartner Christoph Daum, Trainer von Fenerbahce Istanbul, fuhr ihm dennoch gleich übers Maul. Die Schweizer, belehrte er Hüppi, sollten «stolz sein, statt zu heulen». Jetzt sah Sportskamerad Hüppi aus wie ein eingeschüchterter Zwerghase, der eins hinter die Löffel bekommen hatte. Die Prügeleien nach dem Spiel waren ab sofort im Schweizer Sportfernsehen kein Thema mehr. Hüppi oben im Studio, wie seine Kollegen unten im Stadion, redeten nur noch über Fussball und nicht über Fusstritte, nur noch über Handelfmeter und nicht über Handgreiflichkeiten.
Ältere Fussballsemester erinnerten sich, es war genau zwanzig Jahre her. Im Heysel-Stadion in Brüssel gab es 1985 beim Meistercup-Final zwischen Liverpool und Juventus Dutzende von Toten. Reporter Beni Thurnheer kommentierte das Spiel, als wäre nichts geschehen. Dann blendete sich TV DRS wortlos aus und strahlte einen Naturfilm mit Hans A. Traber aus.
2005 war es vergleichbar, auch die Argumentation des TV-Teams war dieselbe. Was ausserhalb des Rasens geschehe, habe «nichts mit Sport zu tun». Was nichts mit Sport zu tun hat, ist nicht relevant für die Sportredaktion.
1985 setzte es nach der offenkundigen Verletzung der Informationspflicht einen TV-Skandal. 2005 setzte es nach der offenkundigen Verletzung der Informationspflicht keinen TV-Skandal. Zu gross war das patriotische Entzücken, um es mit einer Diskussion über publizistische Fehlleistungen zu versalzen.
Wir haben die rotweisse Fahne inzwischen in den Schrank gehängt und können zur nüchternen Interpretation anheben: Das Schweigen der TV-Lämmer zeigte uns wieder einmal den Unterschied zwischen Sportjournalisten und Nicht-Sportjournalisten auf. Viele Sportjournalisten haben irgendwann aus ihrem Hobby einen Beruf gemacht. Sie freuen sich, wenn sie ins Stadion fahren dürfen, weil ihnen dort beruflich vergönnt ist, was sie privat interessiert. Das unterscheidet sie von den meisten Branchenkollegen. Es gibt keinen Inlandredaktor, der darüber jauchzt, dass er die Nationalratsdebatte zum Rüstungsprogramm verfolgen darf. Und rar sind die Wirtschaftsjournalisten, die der Generalversammlung von Novartis entgegenfiebern.
Sportjournalisten begegnen ihrem Thema mit Leidenschaft und Nähe. Andere Journalisten begegnen ihren Themen mit Zynismus und Distanz. Leidenschaft und Nähe verführen zu einer protektionistischen Bewahrungshaltung. Man möchte ausklammern, was nicht sein sollte und was das Idealbild trübt. Doping, Bestechung und Gewalt – «das gehört nicht zum Sport».
Solche Romantik verhindert, wie in Istanbul, das Bemühen um Aufklärung. Nachdem Matthias Hüppi und seine Sportskollegen die objektive Information verhindert hatten, stand «10 vor 10» auf dem Programm. Dort erfuhr man aus erster Hand von den Prügelszenen im Kabinengang. «10 vor 10»-Journalisten sind normale, zynische Nachrichtenjournalisten. Sie lieben den Fussball nicht. Sie lieben ihn nur, wenn er gute Schlagzeilen liefert. Fairerweise müssen wir sagen, dass sich auch die Sportjournalisten der gedruckten Presse in den letzten Jahren emanzipiert haben. Sie solidarisieren sich immer weniger, sie recherchieren immer mehr. Die Spuck-Affäre Frei, die Doping-Affäre Camenzind, die Finanz-Affäre Blatter: Die sportiven Schonflächen sind vor allem bei grossen Tageszeitungen wie Blick, NZZ und Tages-Anzeiger enger geworden.
Im Schweizer Fernsehen hingegen hat sich die Spezies der Verwedler und Schönfärber gehalten. Nach der Fehlleistung von Istanbul verteidigte sich TV-Sportchef Urs Leutert, man hätte seine Leute «unter Androhung von Gewalt» an der Berichterstattung gehindert. Das ist natürlich Quatsch. Nicht nur «10 vor 10» informierte gleichzeitig aus dem Kabinengang vor Ort. Auch bei der ARD berichtete Reporter Nick Golüke, der selber einiges abbekommen hatte, live vor der Kamera.
Wir wollen hier den Berufsstand der Journalisten nicht heroisieren. Aber die «Androhung von Gewalt» hindert im Normalfall keinen daran, dennoch an Informationen heranzukommen. Vielleicht bekommt man keine TV-Bilder, aber Informationen bekommt man immer. Um Informationen kämpft man nur dann nicht, wenn einem ganz recht ist, dass sie nicht öffentlich werden. Die Prügelszenen von Istanbul hatten tatsächlich mit Sport nichts zu tun. Sie hatten mit Journalismus zu tun.
tankwarth - 1. Dez, 16:22
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