Freitag, 9. Dezember 2005

Versprechen und Versprecher

Von Urs Paul Engeler

Vertrauliche Unterlagen zeigen: Der Bundesrat hat in Sachen Swisscom nicht im Streit, sondern in stillschweigender Einigkeit entschieden. Und den nachfolgenden Aufruhr hat zum grössten Teil die Firmenspitze zu verantworten. Eine Rekonstruktion der Vorgänge.

Während Politiker, Medien und Swisscom-Fürsten noch Überdruck produzieren und von «Informationspannen», «Bundesratskrise», «Destabilisierung», «Chaos» und «Hauruckübung» sprechen, sind alle Fakten zusammen, um das Swisscom-Geschäft des Bundesrates exakt nachzuzeichnen. Die genaue Analyse der Abläufe zeigt, dass der Entscheid der Landesregierung seriös vorbereitet, korrekt, eindeutig entschieden – und wohl richtig war.


Die Vorgeschichte

Konkreter wurde die seit Jahren schwelende Diskussion um die Auslandengagements der Swisscom AG und um die Rolle des Mehrheitsaktionärs Bund im Sommer 2004, als die Swisscom die Mehrheit an der Telekom Austria kaufen wollte. Schon damals wagten es Verwaltungsrat und Management nicht, die delikate Frage ganz allein zu entscheiden. Sie kontaktierten ihren Ansprechpartner im Bundeshaus, Moritz Leuenberger (SP), und suchten Rückendeckung vor dem riskanten Schritt. Doch der Minister sagte, offenbar nach Rücksprache mit Finanzminister Hans-Rudolf Merz (FDP), dezidiert nein. Vor einem parlamentarischen Ausschuss machte Leuenberger am 4. Mai 2005 seine Opposition gegen die geplanten Swisscom-Schritte ins Ausland dann auch sehr transparent: «Persönlich bedauere ich das Scheitern dieser Akquisitionen nicht.»

Das Veto garantierte, dass die Eidgenossenschaft nicht über Nacht in mögliche Strudel der österreichischen Gewerkschafts- und Infrastrukturpolitik hineingezogen wurde. Aber es war keine klarformulierte Strategie, zumal die offiziellen Vorgaben des Bundesrates, die im April 2005 erneuert wurden, davon sprachen, dass «Wachstumschancen im Ausland» genutzt werden sollen, «wenn damit der Unternehmenswert gesteigert werden kann». Wie diese teilweise widersprüchlichen Ziele und Entscheide sowie die Rolle des Bundes neu zu definieren seien, blieb einstweilen offen. Moritz Leuenberger meinte vor den National- und Ständeräten zwar, «der Bund könnte für die Swisscom eine Art Klumpenrisiko darstellen», und warb auch leise für eine «Flexibilisierung» und eine Entflechtung der Beziehungen, mahnte indes zu einer Politik der sachten Schritte.


Der Entscheid wird vorbereitet

Am 31. August 2005 beauftragte der Bundesrat, ohne dass dessen Sprecher Oswald Sigg dies damals der Öffentlichkeit mitgeteilt hätte, formell Leuenbergers Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) und Merz’ Finanzdepartement (EFD), bis Ende Oktober «Abklärungen zur Mehrheitsbeteiligung des Bundes an der Swisscom» vorzunehmen und der Regierung einen konkreten Antrag zu unterbreiten. «In enger Zusammenarbeit» zwischen dem Generalsekretariat Uvek (Hans Werder, SP), der Finanzverwaltung (Peter Siegenthaler, ebenfalls SP) sowie der Spitze von Joseph Deiss’ (CVP) Volkswirtschaftsdepartement wurden die Arbeiten an die Hand genommen. Die Swisscom-Spitze war über diese Pläne vollständig informiert; sie lieferte der Arbeitsgruppe sogar die benötigten Unterlagen und Daten. Sie wusste auch genau, dass der Bundesrat Auslandsbeteiligungen skeptisch beurteilte.

Der Oktober-Termin verstrich. Als Christoph Blocher (SVP) sich Mitte November bei Kollege Merz nach dem Verbleib des angeforderten Berichts erkundigte, antwortete der Finanzminister, es sei «zu spät»: die Swisscom schaffe vollendete Tatsachen. Er sei darüber informiert worden, dass das Unternehmen kurz vor der Übernahme der irischen Eircom stehe; die Sache sei bereits unterschriftsreif.

Den Plan vom 4,2-Milliarden-Deal hatten auch die international tätigen Anleger mitbekommen. Offenbar spekulierten neben Investmentbanken auch Londoner Hedge-Funds auf eine Übernahme der Eircom zu einem sehr hohen, ja zu jedem Preis. Auf jeden Fall stieg der Börsenwert der Aktie, die Ende August noch 1.60 Euro wert war, rasant auf einen Kurs von über 2.40 Euro. Die Swisscom wollte also eine Gesellschaft kaufen, die innert Wochen um 50 Prozent teurer geworden war.


Der konkrete Antrag

Die Zeit drängte plötzlich. Am Dienstag, den 22. November, stellten das Uvek und das EFD mit einem gemeinsamen Briefkopf das zwölfseitige, als «vertraulich» deklarierte Aussprachepapier den andern fünf Departementen zu.

Der Text ist in einem vorsichtig pessimistischen Ton abgefasst. Zwar habe die Swisscom-Aktie sich seit dem Börsengang von 1998 «relativ gut gehalten», sie sei nach der Emission (350 Franken) zwischenzeitlich bis auf 700 Franken geklettert, pendle seither zwischen 350 und 500 Franken und sei derzeit rund 420 Franken wert. Die Gesellschaft habe nach dem Börsengang dem Bund «Einnahmen von 9 Mrd. Franken eingetragen», doch die Aussichten seien nicht eben rosig: «Ein Blick in die Empfehlungen der Börsenanalysten», schrieben die Bundesräte weiter, «zeigt, dass heute nur sehr wenige von ihnen die Titel von Swisscom zum Kauf empfehlen; eine Mehrheit der Analysten empfiehlt ‹halten› und eine starke Minderheit spricht sich für den Verkauf der Aktien aus. Dies dürfte hauptsächlich darauf zurückzuführen sein, dass es der Gesellschaft an Wachstumsmöglichkeiten mangelt und dass die Finanzierungsstruktur suboptimal ist.»

Die von Leuenberger und Merz gezeichnete Schlussfolgerung lautete, es sei «unbestritten, dass im dynamischen Telekommunikationsmarkt eine Flexibilisierung der Bundesmehrheit den strategischen Handlungsspielraum für Swisscom und Bund entscheidend verbessern würde».

Trotz dieser klaren Analyse präsentierte das SP-FDP-Duo dem Gesamtbundesrat zwei Varianten:

Merz drängte «angesichts der beträchtlichen Risiken», denen sich der Bund aussetze, auf einen raschen Abbau der Mehrheitsbeteiligung: «So kann die Übernahme einer ehemaligen staatlichen Monopolistin durch die staatlich dominierte Swisscom zu politischen Implikationen führen.» Auch werde der Verkauf der Swisscom dem Bund eine stattliche Summe eintragen, die für den Schuldenabbau eingesetzt werden könne: «Es besteht ein erhebliches Risiko, dass der Erlös aus einem späteren Verkauf geringer ist.»

Das Uvek argumentierte weniger aus prinzipiellen und politischen Gründen gegen einen Verkauf der Beteiligung, sondern listete vor allem Gründe gegen die Lancierung der Vorlage «im heutigen Zeitpunkt» auf: Der Termin sei politisch ungünstig; andere, dringlichere Vorlagen zur Marktöffnung könnten «belastet» werden. Die «emotionale Bedeutung der ehemaligen Regiebetriebe» sei nicht zu unterschätzen. Doch «längerfristig», räumte auch Sozialdemokrat Leuenberger ein, sei der Handlungsbedarf ausgewiesen. «Nach Meinung des Uvek spricht das heutige politische und wirtschaftliche Umfeld für die Verschiebung einer Vorlage auf die nächste Legislaturperiode.»


Blochers Druck

Noch am gleichen Tag, am 22. November, schickte Justizminister Christoph Blocher, der seit Monaten auf diese Aussprache gedrängt hatte, seinen knapp gehaltenen «Mitbericht» ab. Er umfasste auf einer A4-Seite drei Forderungen, die geeignet waren, einen raschen und klaren Entscheid herbeizuführen.

Der erste Antrag zielte darauf, die übervolle Swisscom-Kasse zu entleeren: «Der Bundesrat weist in seiner Funktion als Mehrheitsaktionär die Swisscom an, die freien Eigenmittel für einen Aktienrückkauf bzw. die Ausschüttung von Dividenden einzusetzen [...].»

Der zweite Antrag wollte die Swisscom in letzter Minute daran hindern, die irische Eircom zu kaufen, da dieses Engagement für den Bund «zu einer politischen Hypothek werden» könnte: «Der Bundesrat weist in seiner Funktion als Mehrheitsaktionär die Swisscom an, auf eine Investition bei einer ausländischen Telekommunikationsunternehmung zu verzichten. Im Falle einer Nichtbeachtung dieser Anweisung ist eine Verantwortlichkeitsklage gegen die Mitglieder von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung in Aussicht zu stellen.»

Blochers dritter Antrag unterstützte den von Merz etwas zögerlich vorgetragenen Rückzug des Bundes aus der Position des politisch dominierenden Mehrheitsaktionärs: «Es ist unverzüglich eine Vorlage zur Revision des Telekommunikationsunternehmungsgesetzes einzuleiten. Inhalt der Vorlage ist die Möglichkeit des vollständigen Rückzugs des Bundes aus seiner Beteiligung an der Swisscom. Das EFD wird beauftragt, dem Bundesrat bis Ende 2005 eine Vernehmlassungsvorlage zu unterbreiten.»


Die Sitzung

Die Debatte des Geschäftes verläuft ruhig. Merz referiert. Blocher stösst nach, erläutert sein Konzept. Deiss und Pascal Couchepin (FDP) unterstützen den SVP-Mann. Leuenberger, leicht distanziert bis desinteressiert wie meist, sagt nur, man wisse ja, dass er eigentlich im Moment nichts verändern wolle. Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (SP) erkundigt sich nach den Auswirkungen auf den Börsenkurs. Als Bundespräsident Samuel Schmid die Runde fragt, ob jemand gegen die drei Vorschläge von Kollege Blocher sei, stellt Moritz Leuenberger keinen Gegenantrag. Es wird dreimal ohne Abstimmung und ohne redaktionelle Änderungen Blochers Texten stillschweigend zugestimmt. Nach dem Entscheid geht man gemeinsam essen. Kein Ton von Streit.


Die Kommunikation

Der Bundesrat hatte überdies beschlossen, vorerst nur die Beschlüsse 1 (Rückzahlung der überflüssigen Eigenmittel an die Aktionäre) und 3 (geplanter Verkauf der Mehrheitsbeteiligung) bekannt zu machen. Am Donnerstag, den 24. November, um 7 Uhr publizierte das Finanzdepartement das Communiqué; um 11 Uhr erläuterte Merz die beiden Beschlüsse vor der Presse.

Beschluss 2 (das Verbot von Auslandengagements) wurde vorerst geheim gehalten, um die Swisscom vorgängig ins Bild setzen zu können. Noch am Mittwochabend von 19.30 bis 20 Uhr erklärte Merz den Entscheid dem Präsidenten des Verwaltungsrats, Markus Rauh, der eine schriftliche Bestätigung forderte. Diese wurde dem Vertreter des Bundes im Ausschuss, Felix Rosenberg, am Donnerstagnachmittag in Bern überreicht. Das Departement ging davon aus, dass die Swisscom die Öffentlichkeit informiere. Unerklärlicherweise und gegen alle Regeln hielt die Swisscom diese börsenrelevante Mitteilung am Donnerstag und am Freitag aber konsequent unter dem Deckel.

Der Finanzplatz London kombinierte rascher: Wenn der Bund der Swisscom die Mittel entzieht und sich aus seiner Mehrheitsposition zurückzieht, dann ist auch das Eircom-Geschäft blockiert. Die Kurse der Gesellschaft begannen zu bröckeln.

Am Donnerstagabend gab Blocher Radio DRS ein Interview, das erst zwei Tage später in der «Samstagsrundschau» ausgestrahlt werden sollte. In diesem Gespräch plauderte er das Auslandverbot aus. Gut möglich, dass er die Swisscom so unter Druck setzen wollte. Die brisante Neuigkeit, die noch nicht über den Sender gegangen war, machte am Freitag in Journalistenkreisen die Runde. EFD-Sprecherin Elisabeth Meyerhans Sarasin sah sich mit einem «qualifizierten Leck» konfrontiert, wie sie sagt, und musste das bundesrätliche Veto bestätigen.


Die Reaktionen

Die Finanzmärkte reagierten am heftigsten. Die wohl künstlich aufgeblähte Eircom-Aktie sackte auf 1.90 Euro (minus 21 Prozent) ab. Die Anleger, die auf eine Hausse spekuliert hatten, verloren ihr Geld. Gemäss Gerüchten an den Börsen rächten sie sich durch massive Leerverkäufe der Swisscom-Papiere. Nach diesem provozierten Kurssturz (von 423 auf das Tiefst von 399 Franken) haben die Swisscom-Kurse sich mittlerweile erholt und notieren wieder im langfristigen Schnitt bei rund 417 Franken. Die Entscheide hatten den Wert der Gesellschaft nicht verändert.

Am lautesten und am harmlosesten lärmten die Politiker. Ein reales Problem haben nur Joseph Deiss, der dezidiert eine andere Politik vertritt als Doris Leuthard, die Präsidentin seiner Partei CVP, und Moritz Leuenberger. Der SP-Mann, der von allem Anfang an beteiligt war am Privatisierungsprozess und aus Gründen seines schlechten Gewissens zunächst geschwiegen hatte, geriet unter massiven Druck der Genossen. Nach seiner apathischen Darbietung im Bundesrat versuchte er mit seiner durchsichtigen Attacke auf Merz den Befreiungsschlag. Erheblich ist das Geplänkel nicht. Politisch ebenso belanglos war die heftige Bundesratssitzung vom vergangenen Freitag, als die plötzlich nervös gewordenen Magistraten sich gegenseitig mit Vorwürfen eindeckten und beschlossen, ihre Art der öffentlichen Kommunikation zu überprüfen. Ein Nebengeleise ins Niemandsland.

Am unflätigsten gebärdeten sich der (vom Bundesrat gewählte) Verwaltungsrat und das Management der Swisscom, die sich als ahnungslose Opfer darstellten und – ein geradezu grotesker Vorgang – den Inhaber ihrer Firma öffentlich beschimpften. Mit ihrem Ausraster haben sie tiefgreifende personelle und strukturelle Veränderungen in den Beziehungen zwischen Eigner und Firmenleitung geradezu unumgänglich gemacht.

Trackback URL:
https://tankwarth.twoday.net/stories/1250641/modTrackback

Zweck vom Sonnendeck

Das Sonnendeck dient mir als Abstellplatz wichtiger Habseligkeiten wie auch überflüssigen Ballasts. Daneben lässt sichs aber auch ganz gemütlich liegen und der Gelassenheit frönen.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Archiv

Dezember 2005
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 8 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
23
24
25
26
27
29
31
 
 

Aktuelle Beiträge

Tessinerkeller ade
In der Höhli gehen leider die Lichter aus. Mit besten...
tankwarth - 14. Dez, 14:02
How to live before you...
tankwarth - 11. Jul, 16:48
GDI Trendradar 1/2010
http://www.gdi.ch/sites/de fault/files/pdf/GDI-Trendr adar_1_10_Einfachheit.pdf Eine...
tankwarth - 17. Mai, 18:53
Inspirational Leadership
tankwarth - 13. Mai, 15:28
Schall und Rauch
http://alles-schallundrauc h.blogspot.com/2008/01/der -persnliche-notfallplan.ht ml Nun...
tankwarth - 11. Mai, 13:30

Status

Online seit 7059 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 14. Dez, 14:02

Credits


1732
Alltag
Aphorismen
Don Juan
Freizeit
Glueck
Job
Medien
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren