Montag, 20. März 2006

Die besseren Trainer

hattrickVon Marcel Gamma

Rollenspiele im Internet entwickeln sich zum eigentlichen Massenphänomen. So betreuen
20 000 SchweizerInnen ein eigenes Fussballteam. Täglich, vielleicht für immer.

«Hattrick strukturiert meine Woche», erzählt Oliver Weinstock. Der 36-jährige Marketingfachmann hat unter dem Namen «goetti» als Manager bei der schwedischen Website www.hattrick.org die Geschicke eines virtuellen Fussballklubs übernommen. Nun muss er per Mausklick und via Webbrowser seine Spieler richtig trainieren, gegnerische Teams analysieren, Geld zum Kauf von Stars scheffeln und warten, bis wieder ein Spiel ansteht. Während des Matchs selbst haben ManagerInnen gleich viel Einfluss auf ihre Teams wie im Letzigrund oder St.-Jakob-Park – keinen. Hilflos müssen sie einen Textticker verfolgen, der regelmässig News vom Server-Spielfeld bringt: «Um ein Haar hätte Raul Keiter in der 62. Minute ein Tor erzielt», heisst es da. «Sein traumhafter Flugkopfball konnte nur durch eine grandiose Parade von Philippe Mummertz abgewehrt werden.» Es sind Computerprogramme, die aufgrund von Anweisungen der ManagerInnen und verschiedenster weiterer Faktoren (wie dem Formstand eines Spielers) berechnen, wie ein «Match» ausgeht.
«Es ist sehr emotional», sagt Manager «derwolf». Der 31-jährige Grafiker Moritz Wolf sitzt regelmässig wie viele ManagerInnen während zwei Mal 45 Minuten nervös vor dem Computerbildschirm und zittert mit seinem Team. «Es ist eigentlich absurd», sagt er und lacht. «Wir sind ja alle bessere Trainer als Köbi Kuhn», sagt «bad_x» alias der 40-jährige Illustrator Christophe Badoux. «Es ist extrem befriedigend, wenn du mit deiner Strategie Recht behältst. Dann bist du ein virtueller Macchiavelli.» Der Erfolg sei umso wichtiger, ergänzt der 27-jährige Marketingfachmann Pascal Jaberg, als «tankwarth» ein erfolgreicher Manager, wenn «sein» realer FC St. Gallen schlecht spiele, wie jetzt gerade.

«Moritz Leuenberger» ausser Form
Im Prinzip ist Hattrick ein so genanntes Massively Multiplayer Roleplay Game, wie es sie viele gibt. Wie auch Everquest, das bekannteste des Genres, setzt Hattrick Elemente von Strategie-Games in einem Rollenspiel ein. In Everquest bewegt man sich in einer Fantasy-Welt, schleicht als fieser Dieb im Flackern der Fackeln durch Burgen und schmiedet als nobler Fürst politische Allianzen mit Trollen.
Hattrick dagegen orientiert sich mit dem Meisterschaftscharakter stärker an der Realität, schliesslich wird ein Match gar von fünfzehn Minuten Pause unterbrochen, und eine virtuelle Saison dauert sechzehn Wochen. Alle befragten ManagerInnen sind zudem überzeugt, auch nicht beeinflussbare Parameter wie «Pech» seien im Computerprogramm vorhanden. «derwolf» erzählt erfreut, seine Freundin habe bemerkt, Hattrick sei «wie richtig», und «goetti» fügt an, gerade die Langsamkeit sei faszinierend. «Es kann ein Jahr dauern, um einen Spieler aufzubauen.»
Die Anlehnung an die Realität erreicht gelegentlich auch skurrile Dimensionen. So listet der «FC Neuchâtel» einen Spieler namens «Moritz Leuenberger» auf: «26 Jahre, katastrophal in Form, gesund. Er ist eine umstrittene Person und darüber hinaus ruhig und unehrlich», wird er charakterisiert, «seine Erfahrung ist armselig, und seine Führungsqualitäten sind schwach.»

Liebesaffären und Kiffer
Hattrick lässt den ManagerInnen im Vergleich zu ähnlichen Spielen viele Freiheiten, ihre Rolle zu interpretieren. So geniessen manche die Anonymität des Pseudonyms. Zu ihnen gehört Managerin «waloman», die als eine der wenigen Frauen bei Hattrick ist. Sie will Fussball spielen, «nicht Frauenfussball», und möchte ihren bürgerlichen Namen auch nicht in der WOZ stehen haben.
Während die einen gelegentlich mal die Website auf Neuigkeiten abklicken, können so genannte «Supporter» ihren Klub vielfältig darstellen und eine eigentliche «Corporate Identity» entwickeln. Während das eigentliche Spiel gratis ist, überweisen sie dreissig Franken pro Jahr nach Schweden. Dafür können sie eigene Klublogos gestalten und Pressemitteilungen veröffentlichen. «Je mehr Presseerklärungen, desto spannender», findet «goetti».
Illustrator «bad_x» will seinen Spielern gar Gesichter verleihen, «derwolf» betreibt wie hunderte von ManagerInnen eine eigene Website für seine «Superkickers» und gestaltet zu jedem Spiel ein eigenes Online-Plakat. Über hundert sind es bislang, und gelegentlich gerät er beim Gestalten dann in Zeitdruck und Stress. Einem Spieler hat er gar eine Affäre mit der Physiotherapeutin angedichtet, doch diese Belebung der Fussballerbiografie wurde ihm dann doch zu zeitaufwendig. «bad_x» zeigt sich überzeugt, die Formschwäche eines seiner Stars begründe sich in übermässigem Kiffen.

250 000 Gleichgesinnte
Alle Rollenspielanbieter – sei es Hattrick oder Everquest – fördern die «Community», das Kommunizieren unter Gleichgesinnten. Hattrick gehört zu den erfolgreicheren des Genres, das zum eigentlichen Phänomen geworden ist: Über 250 000 selbst ernannte FussballmanagerInnen aus 50 Ländern von Al Maghrib (Marokko) bis Vietnam haben sich angemeldet, darunter über 20 000 SchweizerInnen.
Neben dem Wettbewerbscharakter sei «Fachsimpeln mit Gleichgesinnten das Wichtigste», bringt «tankwarth» die Faszination auf den Punkt. In Chats und dutzenden von Diskussionsforen suchen die ManagerInnen Antworten, Tipps und Kontakt. Fast alle halten den Mittwoch heilig, um ein Freundschaftsspiel auszutragen, das gleichzeitig die eigene Mannschaft fit halten soll. «Jetzt kommuniziere ich wieder mit meinem Bruder», meint «bad_x», die beiden bestreiten einen privaten, nach ihrem Vater benannten Cup.
Ein spieleigenes Mail- und SMS-System gehört zu den weiteren «Arbeitsinstrumenten», da befragt «bad_x» schon mal KollegInnen über einen künftigen Konkurrenten oder ärgert sich über die taktischen Tipps eines direkten Gegners, während sich «tankwarth» gerne an den Telefonanruf eines Unbekannten aus Neuchâtel erinnert.
Was in andern Games Clans heisst, nennt sich hier Föderationen: Das sind Gruppen von Gleichgesinnten, die bis über tausend Mitglieder zählen können. «derwolf» ist einer von über hundert ManagerInnen aus der Schweiz, Deutschland, Österreich und Liechtenstein, die – so die eigene Website «Best of Hattrick» – «coole Vereinslogos, abstrakte Spielberichte und krasse Managerfehler» sammeln. «tankwarth» ist gleich in drei Föderationen dabei. «Hätte auch meine Freundin ein Team», so «derwolf», «wir würden über nichts anderes als Hattrick reden.»
In eigenen Cups trifft man sich persönlich; so fieberten in Zürich Hattrick-ManagerInnen, die auch den FC Zürich anfeuern, kürzlich in der Letzigrund-Fanbar Flachpass auf Grossleinwand mit ihren virtuellen Teams mit. Als einzige der befragten ManagerInnen erklärt «waloman», sie wolle Fussball spielen, nicht mailen. «Es ist doch nur ein Spiel.»

«Gerade eine ruhige Phase»
Theoretisch kann man sich bei Hattrick gelegentlich mal zehn Minuten einloggen und nachsehen, was so passiert ist, während man bei PC-Games durchaus bis zu vier Stunden am Stück benötigt, um das Spiel zu beenden, und sich manchmal nächtelang immer neue Duelle liefert. «Es ist wie Mails checken», meint «bad_x», während «tankwarth» ungerne in die Ferien verreist, ohne sein Team betreuen zu können. Er nutze dann SMS-Infodienste und Internet-Cafés. Er konstatiert gegenwärtig gerade eine «ruhige Phase» bei sich selbst, sprich, er hat sich an diesem Tag noch nie bei www.hattrick.org eingeloggt. «derwolf» schätzt seinen Aufwand auf etwa drei Stunden pro Woche für Plakate und Vorbereitungen, aber, so der Viertliga-Manager, in den drei Topligen könne man nur mithalten «ohne Freundin und ohne Job».
«Botteron666» hat erst eine Saison hinter sich gebracht und nennt das Spiel «eine lustige Nebensache», doch weil er in einem anderen Online-Fussball-ManagerInnen-Spiel viel Zeit verbrachte, will der 30-jährige Basler, der bald eine neue Stelle antritt, seinen künftigen Chef nicht aufschrecken, indem er seinen bürgerlichen Namen offen legt. Schliesslich könnte die Firma verbieten, www.hattrick.org anzuwählen.
«Ein Hattrickspiel hat kein festes Ende», heisst es schon auf der Einstiegsseite von Hattrick. «waloman» hätte als einzige der Befragten fast aufgehört, denn wegen vieler Verletzter ist ihr FC Chreis4 letzte Saison abgestiegen, gleich zum zweiten Mal in Folge. «Aber ich kann ja mein Team nicht im Stich lassen, nach all dem.»

Zweck vom Sonnendeck

Das Sonnendeck dient mir als Abstellplatz wichtiger Habseligkeiten wie auch überflüssigen Ballasts. Daneben lässt sichs aber auch ganz gemütlich liegen und der Gelassenheit frönen.

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